Agile Organisationen unterscheiden sich im Vergleich zu traditionellen Unternehmen teils drastisch. In diesem Beitrag erfährst Du, welche Merkmale & Fähigkeiten sie besitzen, um besser mit der Komplexität und Unsicherheit der VUCA-Welt umzugehen. Außerdem zeige ich Dir, warum iteratives und inkrementelles Arbeiten für agile Unternehmen wichtige Grundprinzipien sind.
Darüber hinaus erfährst Du natürlich auch, welche besonderen Strukturen agile Organisationen haben, um ihre besonderen Fähigkeiten zu erlangen, und welche Rolle dabei Fehlerkultur und agile Führung spielen.
Merkmale und Fähigkeiten agiler Unternehmen
Agile Organisationen besitzen 5 wichtige Merkmale und Fähigkeiten, die sie von traditionellen Unternehmen radikal unterscheiden:

Flexibilität & Anpassungsfähigkeit
Die wohl bekannteste Fähigkeit einer agilen Organisation sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Weil die VUCA-Welt dazu führt, dass sich die Marktbedingungen für Unternehmen schnell und unvorhergesehen verändern (können), besteht Agilität natürlich vor allem darin, auf diese Veränderungen schneller als die eigenen Wettbewerber reagieren zu können.
Gleichzeitig braucht eine agile Organisation allerdings auch klare und verlässliche Indikatoren dafür, in welche Richtung sich etwas verändert. Möglich wird das vor allem durch eine extrem hohe Kundenorientierung. Es existieren jedoch noch einige weitere Techniken und Möglichkeiten, auf die ich weiter unten eingehen werde.
Risikominimierung
Die hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ermöglicht es einem agilen Unternehmen, potenzielle Risiken durch einen sich verändernden Markt früh zu erkennen und durch eine entsprechende Kursänderung zu vermeiden.
Langfristige Planung und starre Verträge sind der Tod von Agilität
In unsicheren Zeiten sehnen sich viele von uns nach Stabilität und Sicherheit – Unternehmen bilden da natürlich keine Ausnahme. Langfristige Planung und Verträge, die über Wochen, Monate oder sogar Jahre im Voraus geschlossen werden, sind jedoch der Tod jeglicher Agilität, weil sie einer Organisation Fesseln anlegen, aus denen sie später nicht mehr entkommen kann.
Und das gilt nicht nur für Dein eigenes Unternehmen als Auftragnehmer, sondern auch für Deine Kunden als Auftragsgeber.
Das bedeutet aber nicht, dass Deine Organisation “unzuverlässig” ist. Das Gegenteil ist der Fall.
Denn wie sollst Du (schlimmstenfalls per Vertrag) etwas zusagen bzw. versprechen, wenn zum Zeitpunkt des Vertrages noch gar nicht alle Details ausreichend bekannt sind? Was passiert, wenn Du gemeinsam mit Deinem Kunden zu einem späteren Zeitpunkt herausfindest, dass eine andere Lösung besser und günstiger ist?

Agile Organisationen fokussieren sich auf Zusammenarbeit, Interaktionen & Individuen
Hohe Kundenorientierung
Das dritte Merkmal, das agile Organisationen auszeichnet, ist eine außerordentlich hohe Kundenorientierung. Darüber hinaus sind agile Unternehmen nicht nur in der Lage, Kundenwünsche klar zu erkennen, sondern auch schneller als andere Organisationen zu erfüllen. Möglich wird das vor allem durch zwei wichtige Fähigkeiten. Erstens durch eine schnelle und kontinuierliche Lieferung von Nutzen bzw. Wert. Und zweitens durch einen starken Fokus auf den eigenen Wertstrom.
Schnelle & kontinuierliche Lieferung von Nutzen
Eine häufig übersehene Fähigkeit agiler Organisationen ist die kontinuierliche, schnelle und frühe Lieferung von Nutzen für Kunden.
Das geschieht beispielsweise in Form neuer Funktionen einer Software oder die Entwicklung von Zusatzprodukten, die das bestehende Produkt sinnvoll ergänzen.
Denn Agilität bedeutet eben nicht nur, dass eine Organisation sich selbst an veränderte Rahmenbedingungen anpassen kann, sondern zusätzlich in der Lage ist, neue Kundenwünsche zu erkennen und diese schneller zu erfüllen als andere Unternehmen.

Fokus auf den Wertstrom der Organisation
Hinzu kommt ein starker Fokus auf den eigenen Wertstrom, der agilen Organisationen eine größere Kundenorientierung als anderen Unternehmen ermöglicht. Agile Unternehmen sind stark darauf ausgerichtet, Wert und Nutzen zu ihren Kunden zu bringen, und konzentrieren sich weniger auf ihre formellen Strukturen (insbesondere Hierarchiestufen).
Im Optimalfall sind einzelne, kleine Teams in der Lage, dies zu bewerkstelligen und die Nutzer ihres Produktes mit neuen Funktionen zu versorgen, ohne dabei auf die Hilfe von anderen Teams und Abteilungen angewiesen zu sein.
Organisationale Ambidextrie
Die VUCA-Welt beschleunigt ein weiteres Spannungsfeld, das auch als Exploration & Exploitation bekannt ist, und dem sich jede Organisation stellen muss.
Zum einen müssen Organisationen neue, innovative Geschäftsmodelle entwickeln, um der immer schneller werdenden Veränderung zu begegnen.
Zum anderen benötigen sie jedoch auch die Fähigkeit, ihr aktuelles Geschäftsmodell zu optimieren und vor plötzlich aufkommenden Wettbewerbern zu beschützen.
Agile Unternehmen besitzen eine ausgeprägte Lernfähigkeit & hohe Veränderungsbereitschaft
Komplexität und Unsicherheit führen dazu, dass Wissen nicht mehr bereits vorhanden ist, sondern permanent neu erzeugt werden muss.
Salopp gesprochen könnte man auch sagen, dass “30 Jahre Branchenerfahrung”, auf die viele Unternehmen oft mit Stolz zurückblicken, nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich sind.

Grundprinzipien in agilen Organisationen
Viele der oben genannten Merkmale und Fähigkeiten erreichen agile Organisationen durch zwei elementare Grundprinzipien, die Du in jeder agilen Organisation wiederentdecken kannst. Es ist zum einen das Prinzip des iterativen Arbeitens und zum anderen das Prinzip des inkrementellen Arbeitens.
Schnelles Lernen durch iteratives Arbeiten
Iterationen spielen in agilen Organisationen eine zentrale Rolle, weil sie ihnen schnelles Lernen ermöglichen. Hinter dem Begriff steckt im Grunde kein großes Geheimnis:
Iteration bedeutet, dass ein Prozess in der immer gleichen Abfolge wiederholt wird.
Beispiel: Iterationen in Brettspielen
Wenn Du schon einmal ein Brettspiel gespielt hast, kennst Du bereits Iterationen. (Nur wusstest Du vielleicht noch nicht, dass es sich dabei um Iterationen handelt.)
Denn jeder Spielzug in jedem Brettspiel folgt einer immer gleichen Abfolge von Schritten und ist deshalb nicht anderes als eine Iteration.
Beim Spiel Carcassonne ist der Spielzug beispielsweise:
- Der Spieler muss 1 neue Landschaftskarte ziehen und anlegen.
- Der Spieler kann 1 eigenen Gefolgsmann aus seinem Vorrat auf die soeben gelegte Karte setzen.
- Sind durch das Anlegen der Karte fertige Straßen, Städte oder Klöster entstanden, müssen sie jetzt gewertet werden.

Iterationen in agilen Organisationen
Agile Organisationen nutzen ähnliche Prinzipien für ihre “Spielzüge” bzw. Iterationen. Auch sie unternehmen bestimmte Aktionen und versuchen dadurch eine positive Wirkung bei Kunden und Nutzern zu erzielen. Das Besondere an den Iterationen der agilen Arbeit ist allerdings, dass sie stets mit einer Reflexionsphase enden, die sich Retrospektive nennt.
Wenn Du so möchtest, führt eine agile Organisation einen Spielzug durch, um Nutzen beim Kunden zu erzeugen (oder etwas Bestimmtes zu erreichen), und überprüft dann anschließend, ob ihr das auch wirklich gelungen ist. Unmittelbar danach erfolgt der nächste Spielzug bzw. die nächste Iteration.
Um diese Vorgehensweise besonders erfolgversprechend zu machen, sind Iterationen sehr kurz und dauern meist nicht länger als einen Monat.
Kontinuierlicher Nutzen durch inkrementelles Arbeiten
Kurze Zyklen bzw. Iterationen allein sind allerdings noch nicht ausreichend, um echte Agilität zu ermöglichen. Wendigkeit und Flexibilität entstehen erst dann, wenn Du bei einem notwendigen Kurswechsel auf dem aufbauen kannst, was Du bereits erreicht hast.
Stell Dir ein auf mehrere Monate angelegtes Projekt vor, das sich nach sechs Wochen noch immer in der Planungsphase befindet. Es ist leicht, den bisherigen Plan zu verwerfen und von Neuem zu beginnen, wenn Du auf ein Problem stößt. Allerdings beginnst Du dann wieder bei Null und die letzten 6 Wochen waren für die Katz.
Deshalb arbeiten agile Organisationen nicht nur iterativ, sondern gleichzeitig inkrementell.
Ein Inkrement ist ein nutzbares und fertiges Produkt. Wird es durch weitere Inkremente erweitert, die ebenfalls fertig & nutzbar sind, entsteht daraus ein neues Inkrement.
Du kannst Dir ein Inkrement vorstellen wie einen Würfel, der seinerseits wieder aus vielen kleineren Würfeln besteht.
Jedes Mal, wenn Du einen neuen (fertigen) Würfel hinzufügst, entsteht dadurch ein erweiterter, größerer Würfel, der ebenfalls wieder fertig und nutzbar ist.
Durch die Kombination von iterativem und inkrementellem Arbeiten bist Du deshalb in der Lage, nach jeder Iteration etwas Nutzbares und Fertiges an Deine Kunden auszuliefern. (Genauso wie Du nach jedem Spielzug in Carcassonne Punkte hinzugewinnst.)
Strukturen einer agilen Organisation
Wertstromorientierung
Agile Unternehmen haben verstanden, dass formelle Strukturen viel weniger relevant sind, als der Aufbau und die Funktion des eigenen Wertstroms.
Sie kümmern sich deshalb in erster Linie darum, die notwendigen Strukturen um ihren Wertstrom herum zu verbessern.

Selbstorganisierte & agile Teams
Zweitens greifen agile Organisationen auf agile Teams zurück, um Nutzen für Kunden zu erzeugen. Die Arbeit in selbstorganisierten Teams hat eine Vielzahl von Gründen:
Agile Skalierung
Eine besondere Herausforderung entsteht für agile Organisationen, wenn mehrere Teams an ein und dem gleichen Produkt arbeiten (müssen). Denn hierdurch entstehen sehr schnell (wieder) Abhängigkeiten untereinander.
Insbesondere permanente teamübergreifende Kollaboration ist ein großes Problem für die agile Skalierung. Der ursprünglich gewonnene Vorteil durch kleine, selbstorganisierte Teams wird dann schnell wieder zunichtegemacht, weil die beständige Zusammenarbeit zwischen Teams die Idee autonom arbeitender Teams ad absurdum führt.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist nur dann möglich, wenn die Teamstrukturen einer agilen Organisation darauf ausgelegt sind, Abhängigkeiten zwischen Teams radikal zu eliminieren.
Fehlerkultur in agilen Unternehmen
Neben den oben genannten strukturellen Aspekten zeichnen sich agile Organisationen außerdem durch eine besonders offene und positive Fehlerkultur aus. Auch hier spielen die Besonderheiten der VUCA-Welt wieder einmal eine zentrale Rolle. Denn Komplexität und Unsicherheit machen Misserfolge schlichtweg unvermeidbar.
Es ist daher wichtig, zwischen vermeidbaren Fehlern (die vorab erkannt und dadurch vermieden werden können) und unvermeidbaren Irrtümern (die erst im Nachhinein als solche erkannt werden können) zu unterscheiden.
Die Rolle von Experimenten in komplexen Umgebungen
Zu diesem Zweck eignen sich natürlich Hypothesen und klare Metriken außerordentlich gut.
Je größer die Ungewissheit ist, desto einfacher und kostengünstiger sollte das durchgeführte Experiment dabei sein.

Führung in agilen Organisationen
Auch Führung spielt in einer agilen Organisation eine vollkommen andere Rolle als in traditionellen Unternehmen. Denn agile Führung muss die besonderen Strukturen berücksichtigen, die notwendig sind, um Komplexität und Unsicherheit zu handhaben.
Das gelingt vor allem durch das Führen mit ergebnis-orientierten Zielen bzw. einem ausgeprägten Servant Leadership. Aber auch die Erzeugung und Förderung Psychologischer Sicherheit ist ein wichtiges Führungsprinzip in agilen Organisationen.
Führen mit Zielen
Das Prinzip der Selbstorganisation agiler Teams ist mit traditioneller Führung, bei der eine Führungskraft einem Team sagt, was es zu tun hat, unvereinbar.
Vielmehr kommt Führungskräften die Aufgabe zu, die Organisation durch klar formulierte Ziele zu steuern und dadurch die Autonomie in den Teams sogar noch zu verstärken.
Möglich wird das vor allem durch ergebnis- bzw. outcome-orientierte Ziele, die sowohl eine starke gemeinsame Ausrichtung bewirken, als auch gleichzeitig mehr Selbstorganisation für die Teams einer agilen Organisation ermöglichen.
Servant Leadership
Der Begriff Servant Leadership ist eng mit der Idee, Teams durch Ziele zu führen, verbunden. Denn es ist natürlich nicht ausreichend, lediglich Ziele zu setzen. Führungskräfte in agilen Organisationen schaffen darüber hinaus ein Umfeld, in dem die Selbstorganisation der Teams immer besser umgesetzt werden kann.
Dieser Aspekt spiegelt sich beispielsweise auch in einem der 12 agilen Prinzipien wider:
Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.
Psychologische Sicherheit
Wenn das Marktumfeld einer Organisation eine große Ungewissheit und hohe Komplexität besitzt, hat das zwei wichtige Konsequenzen zur Folge. Erstens sorgt dieser Umstand dafür, dass wichtige Informationen in der gesamten Organisation verteilt sind. Und zweitens senkt Ungewissheit unsere Bereitschaft, Bedenken mit anderen zu teilen.
Wichtige Informationen sind in der gesamten Organisation verteilt
Zunächst einmal sind wichtige Informationen, die notwendig sind, um gute Entscheidungen zu treffen, nicht mehr wie früher in der Hierarchiespitze einer Organisation “einfach vorhanden”. Sie sind vielmehr über sämtliche Hierarchieebenen eines Unternehmens verstreut.
Agile Führung muss deshalb darauf abzielen, den Fluss von Informationen so einfach und sicher wie möglich zu gestalten. Denn Führungskräfte können nur dann gute Entscheidungen für ihr Team oder das gesamte Unternehmen treffen, wenn ihre Mitarbeiter ihnen alle wichtigen Informationen geben.
Ungewissheit senkt unsere Bereitschaft, Bedenken zu teilen
Hinzu kommt, dass Ungewissheit und Unsicherheit einen negativen Effekt auf den Fluss von Informationen haben.
Denn je unsicherer wir uns mit etwas sind, desto geringer ist unsere Bereitschaft unsere Bedenken mit anderen zu teilen.
Salopp gesprochen ist es ziemlich einfach, Deine Meinung zu äußern, wenn Du Dir zu 99,9 % (oder wenigstens zu 90 %) sicher bist, dass Du richtig liegst.
Aber was passiert, wenn Du Dir vielleicht nur zu 40 % sicher bist? Wirst Du Deine Meinung trotzdem äußern?

Fazit zur agilen Organisation
Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Beitrag einen guten Überblick über die Besonderheiten agiler Organisationen geben. Wie Du siehst, sorgen Komplexität und Ungewissheit der VUCA-Welt in nahezu allen Bereichen und Aspekten eines Unternehmens für notwendige Veränderungen.
Falls Du noch Fragen, Ideen, Anregungen oder Kritik zum Artikel hast, freue ich mich wie immer über Dein Feedback in den Kommentaren hier unten auf der Seite!