Du hast von Kanban gehört, aber weißt noch nicht so recht, was überhaupt dahinter steckt und wie es Dir und Deinem Team dabei helfen kann, besser zu werden? In diesem Grundlagenartikel gebe ich Dir einen Überblick über Kanban und vermittle Dir die elementaren Prinzipien, nach denen diese agile Methode funktioniert.
Entstehung & Geschichte von Kanban
Seine Ursprünge und Wurzeln hat Kanban im Toyota Production System (TPS). 1947 entwickelte Taiichi Ōno ein Produktionssystem für den japanischen Automobilkonzern, das Just-In-Time-Produktion durch Pull-Prinzipien ermöglichte und dadurch Verschwendung reduzierte. Diese Kernidee in der Produktion kennen wir heute auch als sogenanntes Lean Management.
Kanban in der IT
Dass Kanban heute auch in der IT Anwendung findet, verdanken wir vor allem Menschen wie David Anderson, Dominica DeGrandis, Corey Ladas und Daniel Vacanti, die Anfang der 2000er Jahre damit begannen, Kanban von der Produktion auf die Softwareentwicklung zu übertragen. Sie alle trugen stark dazu bei, dass Kanban für die IT heute so ist, wie es ist.
Definition von Kanban
Genauso wie für Scrum existiert auch für Kanban (mittlerweile) eine offizielle Definition. Genau genommen sind es sogar zwei, die sich jedoch sehr ähnlich sind. (In beiden Guides kannst Du übrigens Daniel Vacanti, den ich oben bereits erwähnte, als (Mit-)Autoren entdecken.)
Die erste Definition von Kanban findest Du im offiziellen Kanban Guide:
Kanban ist eine Strategie zur Optimierung des Wertflusses durch einen Prozess, der ein visuelles, Pull-basiertes System verwendet.
Daneben existiert jedoch noch eine zweite Definition, die Du im Kanban Guide für Scrum Teams entdecken kannst. Die Unterschiede zwischen den beiden Definition sind jedoch überschaubar:
Eine Strategie, die ein visuelles Work-In-Progress-begrenztes Pull-System verwendet, um den Wertfluss eines Prozesses zu optimieren.
Wenn Du gerade erst damit beginnst, Dich mit dieser agilen Methode zu beschäftigen, stellen sich Dir jetzt wahrscheinlich einige Fragen:
Was genau ist ein Wertfluss?
Und was zur Hölle soll bitte ein Work-In-Progress-begrenztes Pull-System sein?!
Aber keine Angst, das sind alles nur Fachbegriffe, die dazu dienen, die beiden Definitionen möglichst kurz zu halten.
Leider sind sie dadurch auch wenig einsteigerfreundlich.

Prinzipien & Praktiken in Kanban
Bevor ich mit Dir einen Blick auf diese verwirrenden Begriffe der Definitionen werfe, möchte ich auf die Prinzipien & Praktiken von Kanban eingehen, weil sie Dir dabei helfen werden, die Methode (und die Definitionen) besser zu verstehen.
Kanban-Prinzipien
Kanban kennt zur Optimierung des erwähnten Wertflusses 6 verschiedene Prinzipien, die sich in zwei Kategorien unterteilen. Zum einen existieren 3 Change-Prinzipien und zum anderen 3 sogenannte Service-Delivery Prinzipien.
Change-Prinzipien
Service-Delivery-Prinzipien
An diesen Prinzipien kannst Du drei grundlegende Aspekte von erkennen, die Dir auch bereits ein wenig Aufschluss über einige Begriffe der obigen Kanban-Definitionen geben.
Allerdings geben die Prinzipien allein (noch) keinen Aufschluss über die Begriffe Work In Progress oder Pull-System, die in den Definitionen erwähnt werden. Deshalb lohnt sich ein zusätzlicher Blick auf die sogenannten Kanban-Praktiken.
Kanban-Praktiken
Kanban versucht mit Hilfe von 6 Praktiken, den oben erwähnten Wertstrom zu steuern, bzw. immer weiter zu verbessern. Diese Praktiken sind:

Teilweise greifen die Kanban-Praktiken sowohl Punkte aus den beiden Definitionen als auch den Kanban-Prinzipien erneut auf. Wie Du sehen kannst, spielt Visualisierung beispielsweise eine wichtige Rolle. Und offensichtlich werden Metriken zur Steuerung (und Verbesserung) des Wertflusses genutzt.
Außerdem wird in den Kanban-Praktiken auch noch einmal auf das gemeinsame Verbessern des Wertflusses hingewiesen, was durch regelmäßig wiederholte Feedbackzyklen ermöglicht wird.
Gehen wir jedoch zunächst auf die zweite und dritte Kanban-Praktik näher ein, weil sie schon wieder Punkte benennen, die Du auch schon in den Definitionen entdecken konntest, nämlich den Wertfluss und die Begrenzung von paralleler Arbeit.
Der Workflow steht immer im Fokus
Wie Du bereits in den Definitionen, Prinzipien und Praktiken gesehen hast, dreht sich in Kanban alles um den Wertfluss. Im Grunde genommen kannst Du Dir diesen als Prozess oder Prozesskette vorstellen, die zu erledigende Arbeit von Anfang bis Ende durchläuft.
Deshalb spricht man in Kanban auch oft von einem Workflow und wie dieser gesteuert und optimiert werden kann. Häufig kannst Du auch die etwas umständliche Formulierung “Wie Arbeit durch das Kanban-System fließt” lesen. Mit diesem System ist aber nichts anderes gemeint als der erwähnte Workflow oder eben Wertfluss.
Die Definition of Workflow
Um den Workflow steuern zu können, musst Du natürlich erst einmal wissen, wie er überhaupt aufgebaut ist.
Auf all diese Fragen gibt die Definition of Workflow (DoW) eine Antwort.
Wenn Du so möchtest, ist sie die direkte Umsetzung der Kanban-Praktik “Mache Regeln explizit”. Die DoW ermöglicht Deinem Team (und allen Beteiligten) ein gemeinsam geteiltes Verständnis darüber, wie Euer Kanban Workflow funktioniert. Übliche Elemente in einer Definition of Workflow sind beispielsweise:
Begrenze die Menge paralleler Arbeit
Das sogenannte Work-In-Progress-Limit (kurz: WIP-Limit) ist ein zentrales Element in Kanban, um die Effizienz Eures Workflows zu steuern und zu verbessern. Leider ist es auch gleichzeitig überhaupt nicht intuitiv zu verstehen, sodass diese Kanban-Praktik sehr oft Unverständnis und sogar Widerstand erzeugt. Wie soll man auch besser und/oder schneller werden, wenn man Arbeit begrenzt?! Wollen Kanban Teams möglichst wenig arbeiten? Wie soll denn da was fertig werden?
Doch auch hier kommt es ein wenig auf die Feinheiten an:
Ein WIP-Limit bedeutet nicht, dass möglichst wenig gearbeitet, sondern möglichst wenig parallel ge- bzw. bearbeitet wird.
Durch ein WIP-Limit gelingt es Deinem Team, seinen Workflow nicht zu überlasten. (Glücklicherweise lässt sich das sogar mathematisch mit Hilfe von Little’s Law beweisen.)
Es kommt also nicht mehr an Arbeit in Euren Wertstrom hinein, als dieser bewältigen kann. Denn die (ansonsten sehr häufig anzutreffende) Überlastung von Teams sorgt dafür, dass zwar viel begonnen, aber nichts fertig wird.
Deshalb lautet ein beliebtes Motto in Kanban auch: “Stop starting, start finishing!”

Das Pull-Prinzip
Außerdem entsteht durch das WIP-Limit das in den Kanban-Definitionen erwähnte Pull-Prinzip. Weil die Begrenzung von paralleler Arbeit dafür sorgt, dass Arbeit dann (und nur dann) in Euren Workflow hineingezogen (pull) wird, wenn freie Kapazitäten vorhanden sind. Und nicht dann, wenn irgendjemand anderes Aufgaben hineindrückt (push).
Visualisierungen in Kanban
Damit Dein Team in der Lage ist, immer den Überblick zu behalten, was in Eurem Workflow gerade passiert, setzt Kanban auf Visualisierungen. Ihr macht also den von Euch definierten Workflow sichtbar und damit intuitiv verständlich und klar.
Im besten Fall existiert für jeden Punkt Eurer Definition of Workflow eine visuelle Entsprechung.
Die beiden wichtigsten Werkzeuge, um das zu erreichen, sind zum einen die Kanban-Karte und zum anderen natürlich das bekannte Kanban Board.
Aufbau einer Kanban-Karte
Eine Kanban-Karte kann jede erdenkliche Aufgabe sein, die Ihr mit Eurem Team erledigen möchtet. Pro Aufgabe existiert eine eigene Kanban-Karte, weshalb man häufig auch von Work Item spricht. Tatsächlich bedeutet das aus dem Japanischen kommende Wort Kanban (看板) auch so viel wie Karte, Tafel oder Beleg.
Im Grunde steht es Dir und Deinem Team vollkommen frei, wie Ihr Eure Kanban-Karten genau gestaltet. Wichtig ist jedoch, dass sie alle wichtigen bzw. notwendigen Informationen über das jeweilige Work Item beinhalten.
Nichtsdestotrotz existieren natürlich einige Standardelemente, die zu jeder Kanban-Karte gehören sollten.
Das sind beispielsweise:
Kanban Board
Mit Kanban-Karten allein ist es natürlich nicht getan. Denn darüber hinaus müsst Ihr auch den von Euch definierten Workflow visualisieren. Genau das geschieht über das bekannte Kanban Board. Es visualisiert jeden einzelnen Schritt Eures Arbeits-Prozesses mit Hilfe einer eigens dafür vorgesehenen Spalte. Zu erledigende Arbeit wandert dabei (in Form einer Kanban-Karte) von links nach rechts durch die einzelnen Spalten des Boards, bis sie abgeschlossen ist.
Hier siehst Du als Beispiel ein Kanban Board, das die einzelnen Prozessschritte New, Refined, Active, In Review, Finished und Completed darstellt. (Außerdem siehst Du die drei übergeordneten Basiszustände des Workflows To Do, Doing und Done.)
So kannst Du beispielsweise leicht erkennen, dass die Status Active, In Review und Finished zu Kategorie Doing und damit zum Work In Progress gehören. (Also alle Work Items, die bereits begonnen, jedoch noch nicht abgeschlossen wurden.) Dadurch markiert die Linie zwischen Refined und Active den Startpunkt des Work in Progress und die Linie zwischen Finished und Done seinen Endpunkt.
Nicht abgebildet in diesem Beispiel hingegen sind WIP-Limits für einzelne Arbeitsschritte bzw. Spalten, Swimlanes für besondere Work Item Types oder genaue Regeln, unter welchen Bedingungen ein Work Item von einer Spalte in die nächste übergehen darf.
Die wichtigsten Kanban-Metriken
Leider wird Kanban immer wieder auf die Nutzung eines Kanban Boards reduziert bzw. damit gleichgesetzt. Und natürlich spielt das Board bei der Umsetzung von Kanban eine sehr wichtige Rolle. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die kontinuierliche Messung Eures Workflows. Denn nur so seid Ihr in der Lage diesen zu steuern und zu verbessern. Die zentralen Fragen, um die es dabei geht, sind:
Auf diese Frage gibt ein Kanban Board allein jedoch keine (zufriedenstellenden) Antworten. Deshalb greift Kanban auf 4 wichtige Metriken zurück, die die obigen Fragestellungen beantworten:
Visualisierung mit Hilfe von Kanban Charts
Diese vier Metriken (Cycle Time, Work In Progress, Throughput und Work Item Age) sind für die tägliche Praxis extrem wichtig. Aber Zahlen allein sind nicht unbedingt immer sehr eingängig und übersichtlich. Glücklicherweise existieren jedoch 5 verschiedene Kanban Charts, die Eurem Team dabei helfen, diese wichtigen Metriken zu visualisieren und sie dadurch nicht aus dem Blick zu verlieren.
Das bekannteste Chart ist sicherlich das Cumulative Flow Diagram. Daneben existieren jedoch noch vier weitere, ebenfalls sehr hilfreiche Charts zur Visualisierung Eures Workflows:
Mit diesen Charts kannst Du mit Deinem Team die wichtigsten Metriken immer im Blick behalten, weshalb sie eine gute Ergänzung zu Eurem eigentlichen Kanban Board sind.
Fragestellung, Metrik & Charts im Überblick
Um die Zusammenhänge zwischen relevanter Frage, Metrik und dem jeweiligen Chart noch einmal zu verdeutlichen, habe ich Dir alle drei noch einmal in einer übersichtlichen Tabelle zusammengestellt:
Frage | Metrik | Chart |
---|---|---|
Wie lange benötigt ein Work Item, bis es fertig gestellt wird, nachdem es begonnen wurde? | Cycle Time | Cycle Time Scatterplot (Cumulative Flow Diagram) |
Wie viele Work Items werden derzeit aktiv durch Euer Team bearbeitet? | Work In Progress | WIP Run Chart (Cumulative Flow Diagram) |
Wie viele Work Items könnt Ihr in einem von Euch definierten Zeitraum abschließen? | Throughput | Throughput Run Chart (Cumulative Flow Diagram) |
Wie lange sind einzelne Work Items schon in Arbeit, aber noch nicht abgeschlossen? | Work Item Age | Aging WIP Chart |
Fazit
Wie Du siehst, kann Kanban ein mächtiges Werkzeug sein, um Euren Workflow kontinuierlich zu verbessern und die Leistungsfähigkeit Eures Teams immer weiter zu steigern. Die Voraussetzung hierzu ist allerdings, dass Ihr alle wichtigen Elemente in die Umsetzung bringt und Euch nicht darauf beschränkt, ein schickes Kanban Board zu verwenden, das nicht viel mehr ist als eine anderes dargestellte To-Do-Liste.
Falls Du noch Fragen zu Kanban hast, die Dir dieser Artikel nicht beantwortet hat, hinterlasse mir gerne einen Kommentar hier und auf der Seite!