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Selbstorganisation ist ein grundlegendes Prinzip agilen Arbeitens. Allerdings zeigt sich häufig, dass selbstorganisiertes Arbeiten in agilen Teams oft als vollkommene Anarchie missverstanden wird. Häufig entsteht dann gerade bei Führungskräften widerwilliges Gemurmel, wenn es um autonomes Arbeiten geht: „Wo kommen wir denn hin, wenn jeder macht, was er will?!“

In  diesem Beitrag möchte ich deshalb ein wenig genauer darauf eingehen, was eigentlich genau hinter Selbstorganisation bzw. Selbstmanagement steckt. Außerdem möchte ich Dir zeigen, warum selbstorganisierte Teams zwingend notwendig sind, um den Herausforderungen der VUCA-Welt zu begegnen. Zum Schluss gebe ich Dir noch einige Tipps mit auf den Weg, die Dir dabei helfen sollen, die Selbstorganisation in Deinen Teams zu fördern.

Was ist Selbstorganisation?

Bevor ich darauf eingehe, weshalb Selbstorganisation im Grunde für alle Unternehmen mittlerweile eine zwingende Notwendigkeit ist und wie Du sie in Deiner Organisation fördern kannst, möchte ich erst etwas genauer klären, was unter Selbstorganisation nun genau zu verstehen ist. Am besten geht das tatsächlich, wenn wir uns zunächst anschauen, was Selbstorganisation nicht ist.

Falls Du glaubst, Selbstorganisation oder autonomes Arbeiten bedeute, dass jeder macht, was er will, dann verwechselst Du sie mit Unabhängigkeit.

Denn vollkommene Unabhängigkeit bedeutet, dass wir tun und lassen können, was wir wollen.

Weder Regeln, Normen noch die Bedürfnisse oder Gefühle anderer sind dann für unser eigenes Handeln relevant.

Wir tun die Dinge dann so, wie wir selbst (und nur wir) sie für richtig halten.

Selbstorganisation ist nicht das Gleiche wie Unabhängigkeit

Wie Du wahrscheinlich unschwer erraten hast, kann das nicht im Sinne des Erfinders sein. Auch für selbstorganisierte Teams existieren natürlich immer Bedingungen und Umstände, nach denen sie sich richten müssen. Allerdings ist es wichtig, dass Du Deinen Teams die Möglichkeit gibst, für ihre Herausforderungen eigene Lösungswege zu entwickeln. Statt ihnen also vorzuschreiben, wie sie bestimmte Probleme zu lösen haben, gibst Du ihnen Optionen und Wahlmöglichkeiten und lässt sie selbst entscheiden.

Die 4T-Formel von Dan Pink hilft Dir dabei, den Unterschied zwischen Unabhängigkeit und Autonomie besser zu verstehen.

Dan Pinks 4T-Formel

Mit seinem Bestseller Drive: Was Sie wirklich motiviert machte Dan Pink grundlegende Erkenntnisse der Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci & Richard Ryan populär und lieferte gleichzeitig eine ebenso einfache wie hilfreiche Definition für Autonomie und Selbstorganisation.

Pink verdeutlicht die Faktoren für Autonomie mit Hilfe seiner 4T-Formel. Jedes dieser vier T steht für einen Aspekt, mit dessen Hilfe wir die Selbstorganisation von Teams erhöhen und verbessern können:

  • Task

  • Time

  • Technique

  • Team

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Nach Pinks Formel bedeutet Selbstorganisation beispielsweise, dass Teams ihre Aufgaben selbst bestimmen können. Oder dass sie sich die Zeit für bestimmte Tätigkeiten (möglichst) frei einteilen können. Autonomes Arbeiten besteht darin, dass Teams ihre eigenen Lösungswege für Probleme entwickeln können. (Statt sie dazu zu zwingen, sich in vorgegebenen, starren Prozessen zu bewegen.) Selbstmanagement heißt ebenfalls, dass Teammitglieder untereinander aushandeln können, wer welche Aufgabe übernehmen soll und wer mit wem zusammenarbeiten möchte.

Selbstorganisation – Definition im Scrum Guide

Nach Pinks Definition heißt Selbstorganisation also nicht, dass es jedem vollkommen freisteht zu entscheiden, ob die Arbeit erledigt wird. Es bedeutet auch nicht, dass Anforderungen anderer Abteilungen oder gar die Bedürfnisse von Kunden vollkommen irrelevant sind.

Selbstorganisation bedeutet, dass Teams Wahlmöglichkeiten haben, wann sie ihre Arbeit erledigen (time), was sie tun, um Ziele zu erreichen (task), wie sie ihre Arbeit erledigen (technique) oder mit wem sie zusammenarbeiten (team).

Interessanterweise kannst Du diese Aspekte aus Daniel Pinks 4T-Formel genau so im Scrum Guide wiederfinden. Dort heißt es nämlich:

Scrum Teams managen sich außerdem selbst, d. h. sie entscheiden intern, wer was wann und wie macht.

Warum ist Selbstorganisation wichtig?

Selbstorganisierte Teams sind natürlich kein reiner Selbstzweck. Denn für Selbstorganisation auf der Arbeit sprechen vor allem drei wichtige Gründe:

  • Erstens steigert Selbstorganisation die Motivation und Leistung von Teams.

  • Zweitens wird sie durch die ständige Veränderung der VUCA-Welt zwingend notwendig.

  • Drittens ermöglicht Selbstorganisation mehr Geschwindigkeit und Flexibilität für Organisationen.

Selbstorganisation sorgt für mehr Motivation

Autonomes Arbeiten steigert Motivation und Leistung

Den ersten Grund, der Selbstorganisation so wichtig macht, kennst Du im Grunde bereits: Autonomes Arbeiten fördert Motivation und Leistung Deiner Teams. Die umfangreiche Forschung zur Selbstbestimmungstheorie belegt eindrucksvoll, dass Autonomie und Selbstorganisation eine zentrale Rolle für die Entstehung von Motivation spielt.

Es gibt jedoch noch eine Reihe weiterer Faktoren, die selbstorganisierte Teams zwingend notwendig machen, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen.

Ständige Veränderung durch VUCA

Die Faktoren der VUCA-Welt – Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität – bringen es mit sich, dass Teams mit ständig wechselnden Situationen und Voraussetzungen konfrontiert sind.

Dadurch wird es nahezu unmöglich, den „perfekten Prozess“ zu etablieren. Denn dieser kann ja schon morgen nicht mehr funktionieren, weil sich seine Bedingungen geändert haben.

Diese Problematik brachten Hirotaka Takeuchi and Ikujiro Nonaka bereits 1986 (!) in ihrem wegweisenden Aufsatz The New New Product Development Game sehr präzise auf den Punkt:

Selbstorganisation mit Scrum

This new emphasis on speed and flexibility calls for a different approach for managing new product development. The traditional sequential or “relay race” approach to product development – exemplified by the National Aeronautics and Space Administration’s phased program planning (PPP) system – may conflict with the goals of maximum speed and flexibility. Instead, a holistic or “rugby” approach – here a team tries to go the distance as a unit, passing the ball back and forth – may better serve today’s competitive requirements.

Nach Takeuchi und Nonaka ist die Lösung für VUCA-Probleme demnach nicht (mehr) der etablierte Staffellauf. Sondern ein selbstorganisiertes Team, das sich den Ball gegenseitig zuspielt, um ans Ziel zu gelangen. (Aus diesem Rugby-Vergleich ist übrigens später das entstanden, was wir heute als Scrum kennen und dessen Name nicht von ungefähr direkt aus dem Rugby entlehnt ist.)

Geschwindigkeit & Flexibilität

Durch Selbstorganisation entstehen für agile Organisationen gegenüber ihren Wettbewerbern also die beiden Vorteile Flexibilität und Geschwindigkeit.

Zum einen sind solche Organisationen besser in der Lage, auf neue Erkenntnisse, veränderte Rahmenbedingungen und erkannte Risiken zu reagieren und ihre Vorgehensweise anzupassen.

Zum anderen reduziert die Arbeit in selbstgesteuerten, autonomen Teams Abhängigkeiten zu anderen Teams und Abteilungen oder lange (und langsame) Entscheidungswege durch unnötige Hierarchien.

Dadurch können notwendige Kurswechsel auch sehr schnell herbeigeführt werden.

Wie lässt sich Selbstorganisation fördern?

Um Selbstmanagement in Deiner Organisation zu fördern, solltest Du Deinen Fokus vor allem auf vier wichtige Punkte legen.
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Welche anderen Aspekte sollte man Deiner Meinung nach noch beachten, um Selbstorganisation zu fördern?x
Erstens solltest als Führungskraft natürlich für ausreichend Freiräume sorgen. Zweitens ist die Bildung interdisziplinärer Teams eine sehr gute Möglichkeit, um Selbstorganisation zu fördern. Drittens musst Du dafür sorgen, dass in selbstorganisierten Teams ausreichend Verlässlichkeit existiert und Verantwortlichkeiten geklärt sind. Außerdem solltest Du die Macht und Wirkung gemeinsamer Ziele nicht unterschätzen.

Erschaffe Freiräume

Der erste wichtige Schritt, um Teams zu mehr Selbstorganisation zu verhelfen, ist natürlich, dass Du ihnen als Führungskraft den nötigen Freiraum dazu gibst.

Ein Führungskonzept, mit dessen Hilfe sich das sehr gut verdeutlichen lässt, ist beispielsweise Shared Leadership bzw. geteilte Führung.

Durch Shared Leadership werden bestimmte Führungskompetenzen von der formalen Führungskraft auf das gesamte Team übertragen, das diese Aufgaben dann in Zukunft selbst übernimmt.

  • Damit es hier nicht zu Verwirrung oder gar Konflikten kommt, was ein Team selbst entscheiden soll und darf, empfehle ich Dir wärmstens, mit Deinen Teams eine oder mehrere Runden Delegation Poker zu spielen.

Bilde interdisziplinäre Teams

Ein weiterer wichtiger Schlüssel für mehr Selbstorganisation sind interdisziplinäre Teams. Denn logischerweise kann ein selbstorganisiertes Team sein Ziel auch nur dann eigenständig und autonom erreichen, wenn es alle notwendigen Skills dazu besitzt. So klar und einleuchtend diese Erkenntnis vielleicht sein mag, so wenig sind die meisten Organisationen oft gewillt, ihre aktuellen Teamstrukturen zu hinterfragen.

Doch wenn Dein Unternehmen wirklich Selbstorganisation fördern möchte, muss sie alle bestehende Strukturen hinterfragen, die den weiter oben erwähnten Staffellauf erzeugen. Ansonsten hat sie gute Chancen das zu erschaffen, was agile Coaches gemeinhin als Cargo-Kult oder Zombie-Scrum bezeichnen.

Fördere Verlässlichkeit & Verantwortung

Gleichzeitig reicht es natürlich nicht aus, Deine Teams einfach sich selbst zu überlassen. Nach dem Motto: „Ihr seid jetzt selbstorganisiert! Ich hab damit nichts mehr zu tun.“ Du musst Dir darüber klar sein, dass laterale Führung innerhalb eines Teams sehr viel schwieriger als disziplinarische Führung ist. (Das liegt vor allem daran, weil zwischen Teammitgliedern keine Hierarchie existiert.)

Deshalb ist es sehr wichtig, die Verantwortlichkeiten innerhalb eines Teams zu klären.

Ansonsten kommt es sehr schnell dazu, dass Selbstorganisation nicht funktioniert, weil eventuell niemand die Führungsrolle übernehmen möchte (oder kann).

Glücklicherweise existieren neben dem bereits erwähnten Delegation Poker noch viele weitere Tools, mit deren Hilfe sich Verantwortlichkeiten sehr gut klären lassen, um mehr Verlässlichkeit im Team zu erzeugen.

  • Eine sehr detaillierte Möglichkeit, um Verantwortlichkeiten zu klären, ist beispielsweise die RACI-Matrix.

  • Auch die Team Alignment Map kann Euch dabei unterstützen, ein gemeinsames Commitment zu erzielen.

  • Des Weiteren kann Euch ein gemeinsamer Teamvertrag dabei unterstützen, mehr Klarheit über die Zusammenarbeit im Team herbeizuführen und verbindliche Regeln festzulegen.

Sorge für gemeinsame Ziele

Neben all den oben genannten Punkten, darfst Du nicht vergessen, dass Selbstorganisation nur dann (gut) funktioniert, wenn einem Team klar ist, welches Ergebnis ihre Arbeit haben soll. Meiner Erfahrung nach scheitern viele Organisationen bei der Einführung agiler Methoden vor allem deshalb, weil sie zwar autonomes Arbeiten einfordern, aber vergessen, ihre Teams mit klaren Zielen zu führen.

Das ist ungefähr so, als würdest Du eine Sportmannschaft aufs Feld schicken und ihr nicht sagen, welches Spiel gespielt wird. Je nachdem ob Fußball, Feldhockey oder Polo gespielt wird, sind die Regeln und die Bedingungen vollkommen andere. Deshalb spielen ergebnisorientierte Ziele, die den Outcome der gemeinsamen Arbeit klar definieren, eine zentrale Rolle für die erfolgreiche Umsetzung von Selbstorganisation. (Ziele, die sich hingegen auf den Output konzentrieren, verringern die Autonomie aller beteiligten Teams und verhindern Selbstorganisation.)

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Fazit

Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Beitrag einen guten ersten Einblick in das Thema Selbstorganisation geben. Selbstorganisierte Teams keine selbstverliebte Spielerei agilen Arbeitens, sondern aufgrund der VUCA-Welt eine zwingende Notwendigkeit, wenn Organisationen langfristig überleben möchten.

Falls Du noch Fragen, Ideen, Anregungen oder auch Kritik zu diesem Artikel hast, freue ich mich wie immer auf Dein Feedback in den Kommentaren!