Vergleicht man die Liste der 10 wertvollsten Unternehmen der Welt von heute (2023) mit den Top Ten aus dem Jahr 2003, dann fällt auf, dass nur ein einziges Unternehmen in beiden Ranglisten auftaucht. Auch eine Studie aus dem Jahr 2016 belegt, dass sich die Lebenserwartung von Unternehmen und Organisationen kontinuierlich verkürzt.

In diesem Artikel erfährst mehr über die Gründe für das Scheitern und Sterben ehemals erfolgreicher Organisationen und wie Unternehmen dieses Schicksal durch organisationale Ambidextrie vermeiden können.

Warum ehemals erfolgreiche Unternehmen scheitern

Eine Studie von Gilbert Probst & Sebastian Raisch aus dem Jahr 2004 ermittelte zwei Hauptgründe für das Scheitern von Organisationen. Entweder sie erliegen einem Burn-out-Syndrom oder dem sogenannten Premature-Aging-Syndrom, also einer vorzeitigen Alterung.

Burn-out-Syndrom

Etwa 70 % der untersuchten Unternehmen scheiterten, weil vier entscheidende Faktoren zusammenkamen: erstens exzessives Wachstum, zweitens unkontrollierter Wandel, drittens ein (zu) mächtiger Unternehmensführer und viertens eine überzogene Erfolgskultur.

Gibert Probst

Ein übertrieben ehrgeiziger Vorstandschef überlastet durch exzessives Wachstum und unaufhörlichen Wandel die Organisation auf Dauer so sehr, dass diese schlicht ausbrennt. Geschwächt durch hohe Schulden, wachsende Komplexität und anhaltende Unsicherheit, bricht das System im Extremfall in sich zusammen.

Gilbert Probst, Universität Genf

Premature-Aging-Syndrom (Inertia)

Die verbleibenden 30 Prozent der von Probst und Raisch untersuchten Unternehmen scheiterten, weil sie salopp gesagt das genaue Gegenteil taten. Denn in ihren Fällen waren vier Gründe stagnierender Wachstum, zögerlicher Wandel, schwache Unternehmensführer und eine fehlende Erfolgskultur. Diese Unternehmen erlagen den Veränderungen ihres Marktes, weil sie diese schlichtweg ignorierten und ausschließlich auf die Erhaltung ihres aktuelles Business Models setzten.

  • Simon Wardley bezeichnet das Premature-Aging-Syndrom auch als Inertia und meint damit die Trägheit eines Unternehmens, die vor allem durch den bisherigen Erfolg seines aktuellen Geschäftsmodells entsteht.

Zwei Syndrome, eine Logik

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Syndrome der gleichen Logik folgen: Denn in beiden Fällen stehen Wandel und Wachstum nicht miteinander im Einklang.

Langlebigen Organisationen gelingt es, einerseits innovativ zu sein und Wandel zu antizipieren. Andererseits gelingt es ihnen ebenfalls, ihr aktuelles Geschäftsmodell zu optimieren & zu erhalten und so ein gesundes Wachstum zu erzeugen.

Was ist organisationale Ambidextrie?

Dieser von Probst und Raisch beschriebene stabile Wandel in Kombination mit einem gesunden Wachstum nennt sich organisationale Ambidextrie (lateinisch ambo „beide“ und dextra „rechts, glücklich, geschickt oder auch günstig“). Statt also lediglich das bisherige Business Model zu optimieren, gelingt es Unternehmen gleichzeitig Innovation und Erneuerung zu betreiben. (Geprägt wurde dieser Begriff übrigens bereits in den 70er Jahren durch den amerikanischen Organisationsdesigner Robert B. Duncan.)

Exploration vs. Exploitation

Das Spannungsfeld, das Organisationen durch Ambidextrie bewältigen müssen, wird mitunter auch mit den beiden Begriffen Exploration vs. Exploitation beschrieben.

  • Exploration steht für die Suche nach neuen innovativen Geschäftsideen, die die zukünftige Existenz einer Organisation sichern sollen.

  • Exploitation hingegen bedeutet so viel wie Ausbeutung und fokussiert sich auf die Optimierung (und den Schutz) des aktuellen Geschäftsmodells eines Unternehmens.

Organisationale Ambidextrie - Exploration vs Exploitation

Formen der organisationalen Ambidextrie

Üblicherweise wird zwischen drei verschiedenen Formen organisationaler Ambidextrie unterschieden: zeitliche, kontextuelle und strukturelle Ambidextrie.

Zeitliche Ambidextrie

Zeitliche Ambidextrie bezeichnet den Wechsel einer Organisation von Exploration hin zu Exploitation bzw. umgekehrt. Damit ist also ein vollumfänglicher Wandel des Verhaltens einer Organisation gemeint.

Lange Zeit war dies die klassische Vorgehensweise für Unternehmen: In der Gründungsphase, zum Beispiel als Start-up, benötigte ein Unternehmen starke explorative Fähigkeiten, weil sein Umfeld eine große Ungewissheit aufwies. Mit der Zeit, nachdem sich das Geschäftsmodell erfolgreich etabliert hatte, verlor das Unternehmen jedoch seine explorativen Fähigkeiten und fokussierte sich immer stärker darauf, sein bestehendes Business Model zu optimieren und zu beschützen. Es wechselte vollends in den Exploitation-Modus.

Zeitliche Ambidextrie zeichnet sich – im Gegensatz zu kontextueller oder struktureller Ambidextrie – dadurch aus, dass Exploration und Exploitation nacheinander vorkommen, jedoch niemals gleichzeitig.

Grundsätzlich ist es natürlich möglich, dass eine Organisation wieder in den Exploration-Modus wechselt, sofern es die Situation erfordert.

Allerdings geht das oft mit kulturellen Problemen einher, weil dieser Wechsel eine vollkommen andere Denkweise erfordert. Mitunter ist dies einer der Gründe, warum Agilität so oft scheitert.

Zeitliche Ambidextrie

Kontextuelle Ambidextrie

Wie die Bezeichnung bereits andeutet, versteht man unter kontextueller Ambidextrie die Fähigkeit einer Organisation, je nach Situation und Ausgangslage zwischen Exploration und Exploitation zu wechseln, um sich den jeweiligen Erfordernissen anzupassen. Kontextuelle Ambidextrie erfordert deshalb eine hohe Flexibilität bzw. Agilität sowohl von Führungskräften als auch Mitarbeitern.

Ein gutes Beispiel für kontextuelle Ambidextrie ist die für lange Zeit angewandte 20-Prozent-Regel bei Google. Mitarbeiter durften bzw. sollten 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für private Projekte aufwenden. Durch dieses Vorgehen sind viele innovative Produkte bei Google entstanden, beispielsweise Gmail, Google Maps und sogar AdSense.

Strukturelle Ambidextrie

Auch die strukturelle Ambidextrie ermöglicht einer agilen Organisation sowohl Exploration als auch Exploitation gleichzeitig umzusetzen.

Allerdings sind beide strukturell (also organisatorisch) voneinander getrennt, beispielsweise als „ausgegliederte“ Forschungslabore oder Start-up-ähnliche Innovations-Inkubatoren, die vom Tagesgeschäft eines Unternehmens klar getrennt sind.

Die Herausforderung hierbei besteht unter anderem darin, beide Strukturen voneinander getrennt zu halten, jedoch gleichzeitig eine gegenseitige Befruchtung zu ermöglichen.

Auch hier bietet Google ein gutes Beispiel. Bereits seit einigen Jahren hat der Suchmaschinen-Gigant die 20-Prozent-Regel beerdigt und explorative Unternehmungen in strukturell ausgegliederte Projekte wie Area 120 oder X – The Moonshot Factory ausgegliedert.

Strukturelle Ambidextrie

Tools für mehr Ambidextrie in Deiner Organisation

[wpdiscuz-feedback id=“8upbqvnadf“ question=“Kennst Du noch andere hilfreiche Tools, die hier noch erwöhnen sollten?“ opened=“1″]Um Ambidextrie zu erlernen und zu praktizieren, stehen Deiner Organisation einige sehr hilfreiche, strategische Tools zur Verfügung, die ich Dir hier kurz vorstellen möchte.[/wpdiscuz-feedback]

Portfolio Map

Die Portfolio Map von Alexander Osterwalder ist eigens für den Zweck gedacht, sowohl das Exploration- als auch das Exploitation-Portfolio einer Organisation zu visualisieren.

Deshalb ist sie außerordentlich gut geeignet, um Deinem Unternehmen dabei zu helfen, organisationale Ambidextrie zu erlernen.

Portfolio Map

Ecocycle Planning

Das Ecocycle Planning aus den Liberating Structures ist der Portfolio Map recht ähnlich, allerdings werden mit ihrer Hilfe Tätigkeiten statt Geschäftsmodelle visualisiert.

Auch das Ecocycle Planning unterstützt Deine Organisation dabei, Ambidextrie zu erlernen, weil sie Euch dabei hilft, die Phasen Erneuerung und Geburt auf der einen, sowie Reife und Kreative Zerstörung auf der anderen Seite miteinander in Einklang zu bringen.

Was ist Ecocycle Planning

McKinseys 3-Horizonte-Modell

Auch das 3-Horizonte-Modell von McKinsey gliedert sich in die Reihe strategischer Tools ein, mit deren Hilfe Deine Organisation ermitteln kann, ob sie sowohl Exploration als auch Exploitation betreibt.

Besonders hilfreich ist hierbei die Unterscheidung zwischen Hier & Jetzt, naher Zukunft und ferner Zukunft.

3-Horizonte-Modell von McKinsey

Fazit zur organisationalen Ambidextrie

In der dynamischen VUCA-Welt unseres Jahrhunderts ist organisationale Ambidextrie wahrscheinlich die wichtigste Fähigkeit für jedes Unternehmen. Denn nur so ist es in der Lage, einen frühen Tod durch Burn-out oder das Premature-Aging-Syndrom zu vermeiden und lange fortzubestehen.

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