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Vorbereitung Deines User Interviews

Schon bei der Vorbereitung Deiner User Interviews solltest Du auf einige Dinge achten, damit Du bei der späteren Durchführung gute Ergebnisse erzielst.

Entscheide Dich für eine Interview-Form

Als erstes musst Du Dir natürlich darüber klar werden, welche Interview-Form Du durchführen möchtest.

Möchtest Du explorative Interviews mit Deinen Usern im Rahmen eines Design-Thinking-Prozesses durchführen?

Oder handelt es sich um Switch Interviews mit einem Fokus auf Jobs to Be Done?

Auch in der Blue Ocean Strategie sind Interviews ein fester Bestandteil. (Hier würdest Du jedoch gezielt Nichtkunden befragen.)

Interview zwischen zwei Männern, die in angenehmer Atmosphäre beim Gespräch gefilmt werden.

Wähle Deine Zielgruppe aus

Zweitens musst Du Dich entscheiden, wen Du interviewen möchtest. Denn je nachdem für welche Interview-Form Du Dich entschieden hast, wird die Auswahl Deiner Interviewpartner unterschiedlich ausfallen. Es bringt Dir schlichtweg nichts, wenn Du einfach jeden User interviewst, nur weil Du ihn oder sie gerade „zu packen gekriegt“ hast.

Denkbar sind beispielsweise:

  • User, die Dein Produkt gerade gekauft haben. (Switch Interview)
  • Menschen, die Dein Produkt oder Service seit Kurzem nicht mehr nutzen. (Switch Interviews)
  • Menschen, die sich kürzlich für ein Produkt eines Mitbewerbers entschieden haben. (Switch Interviews)
  • Power-User (hilfreich beim Positioning)

Überlege Dir, welche Antworten Du erhalten möchtest

Drittens solltest Du Dir vorab überlegen, welche Antworten Du von Deinen Nutzern erhalten möchtest. Eine gute Übung zur Vorbereitung Deiner User Interviews ist es deshalb, einen fiktiven Antwortbogen niederzuschreiben. Wie sähe für Dich das optimale Ergebnis Deines Interviews aus und welche Antworten haben Dir Deine User gegeben?

Diese Übung hilft Dir dabei, Dir daran anschließend die passenden Fragen zu überlegen bzw. auszuwählen.

Lege einen Fragenpool für Deine User Interviews an

Sobald Du weißt, welche Antworten Du in Deinen User Interviews erhalten möchtest, fällt es Dir leichter, einen Fragenpool anzulegen. Denn nun kannst Du überlegen: „Wenn ich diese Art von Antworten erhalten möchte, welche Fragen muss ich dann stellen?“

Notiere Dir diese Fragen vor Deinen User Interviews und stelle diese auf jeden Fall!

Ein Stapel weißer Karten mit einem großen Fragezeichen auf einem roten Hintergrund

Mache Videoaufzeichnungen

Du kannst noch so erfahren in der Durchführung von User Interviews sein: Du wirst nicht immer auf alles achten können. Wenn es Dir möglich ist – und Dein Interviewee damit einverstanden ist –  solltest Du Dein Interview auf Video aufzeichnen. Gerade non-verbale Besonderheiten wie Gestik & Mimik kannst Du so beim späteren Anschauen besser identifizieren.

Falls Du Dein User Interview remote per MS Teams oder zoom durchführst, ist die Aufzeichnung natürlich besonders einfach und benötigt weniger Hardware als ein Videomitschnitt, der bei einem Vor-Ort-Interview mit einer Videokamera durchgeführt wird. Allerdings liefert ein Smartphone ebenfalls hausreichend gute Ergebnisse.

Durchführung von User Interviews

Nachdem Du Dich sauber auf die Interviews mit Deinen Usern vorbereitet hast, geht es nun endlich an die Durchführung! In den folgenden Abschnitten findest Du Tipps & Tricks, die Dir dabei helfen werden, bessere Interviews durchzuführen.

Sorge für eine entspannte Atmosphäre

Die meisten Gesprächspartner sind zu Beginn eines Interviews ein wenig aufgeregt. (Das gilt insbesondere dann, wenn das Interview auch noch aufgezeichnet wird.) Fang deshalb nicht direkt mit Deinen Fragen an, sondern mache ein wenig Smalltalk, um die Atmosphäre aufzulockern.

Außerdem solltest Du Deinen Interviewee ein wenig darüber informieren, was Du mit dem Interview erreichen möchtest. Beispielsweise solltest Du ihm oder ihr sagen, dass Du nichts verkaufen möchtest und dass es keine richtigen oder falschen Antworten gibt.

Beginne dort, wo es Deinem Interviewpartner am leichtesten fällt

Bei einem guten User Interview geht es nicht darum, einen vorgefertigten Fragenkatalog „der Reihe nach abzuklappern“. Vielmehr kannst Du es Dir so vorstellen wie ein nettes Gespräch im Café. (Bei dem Du allerdings wertvolle Informationen über Deine Nutzer erhältst.)

Stelle Dir einfach vor, Du würdest eine Dokumentation über den Zeitraum vom ersten Gedanken bis zum Kauf Deines Produktes drehen. Welche Dinge würden dort zu sehen sein? Welche Ereignisse kommen darin vor und welche nicht? (Diese Dokumentations-Metapher kannst Du übrigens auch Deinem User zum Einstieg mitteilen, damit er das User Interview besser einordnen kann.

User Interview in entspannter Café-Atmosphäre

All das kannst Du natürlich zu Deinem Vorteil nutzen, weil Du den Einstiegspunkt frei wählen kannst.

Wenn Du Nutzer interviewst, die gerade erst zu Deinem Produkt gewechselt haben, kannst Du zum Beispiel fragen: „Weißt Du noch, was Du gedacht hast, als Du mein Produkt gekauft hast? Wie hast Du Dich da gefühlt?“ oder auch „Hat der Kauf reibungslos geklappt?“ Du kannst auch fragen: „Haben sich Deine Hoffnungen nach dem Kauf meines Produktes erfüllt?“

Auf diese Weise kannst Du Dich immer weiter vorarbeiten und die Customer Journey Deines Nutzers nachzeichnen:

  • Erzähl mir von Deiner vorherigen Lösung! Warum hast Du diese nicht noch einmal gekauft?

  • Wo und wann hast Du Dich für mein Produkt entschieden?

Fördere das Gespräch

Damit Du möglichst viel über Deine Nutzer erfährst, solltest Du möglichst wenig und Dein Gesprächspartner möglichst viel sprechen. Greife deshalb vor allem auf offene Fragen zurück. Aber auch konkrete Aufforderungen können sehr hilfreich sein, um Dein Gegenüber zum Reden zu bringen:

  • Erzähl mir (mehr) von…
  • Beschreibe mir…
  • Schildere mir…

Gib Hilfestellungen

In eigentlich jedem User Interview kommt es vor, dass sich Dein Gegenüber nicht mehr an die genaue Situation erinnern kann, in der etwas geschah.

Lass Dich davon nicht aus der Ruhe bringen, weil das vollkommen normal ist.

Gib Deinem Interviewpartner stattdessen ein paar Hilfestellungen, indem Du konkrete Informationen erfragst:

  • Warst Du Zuhause oder im Büro?

  • War es morgens oder abends? Wochentags oder am Wochenende?

  • War es voll oder leer im Geschäft als Du mein Produkt gekauft hast? Hat Dich jemand beraten?

Gib Hilfestellung in User Interviews, wenn sich Dein Gegenüber nicht genau erinnern kann

Erfrage wichtige Informationen über Kontext & Situation

Um ein wirklich gutes Verständnis von der Situation Deiner Nutzer zu erlangen, ist es extrem wichtig, dass Du erfährst, in welchem Kontext ein JTBD durchgeführt werden soll. Wenn Dir Deine Gesprächspartner davon berichten, dass sei bestimmte Dinge tun oder erreichen wollen, frage stets nach der konkreten Situation, in der das (meistens) geschieht:

  • Wer war bei Dir, als Du … ?
  • Zu welcher Tageszeit geschieht das (üblicherweise)?
  • Wo bist Du (üblicherweise), wenn Du …?
  • Wie sind die Umstände, wenn Du …?

  • Wenn ich Dich filmen würde, während Du … – Was würde in diesem Film zu sehen sein?

Ignoriere Lösungsvorschläge

Viele Nutzer (wenn nicht sogar alle) werden Dir in Deinen Interviews konkrete Vorschläge machen, wie Du Dein Produkt oder Deinen Service noch weiter verbessern solltest.

Widerstehe der Versuchung, Ideen Deiner Interviewees unhinterfragt in Deinem Produkt umzusetzen.

Kundenzentrierung bedeutet nicht, dass Deine User Dir sagen, was Du tun sollst.

Denn wenn Du (immer) nur das umsetzt, was Deine Nutzer Dir sagen, wirst Du niemals ein Produkt entwickeln, dass wirklich durchdacht und „wie aus einem Guss“ ist.

Hüte Dich in Interviews vor den Ideen Deiner User

Falls Dir ein User in einem Interview einen Vorschlag macht oder eine konkrete Idee teilt, solltest Du vielmehr in Erfahrung bringen, welche Jobs, Pains & Gains sich dahinter verbergen. Denn das bringt Dir mehr, als einfach eine vorgeschlagene Idee umzusetzen.

Wenn Dein Interviewpartner zum Beispiel sagt: „Ich fände es prima, wenn Deine Webseite einen Newsletter hätte“, frage:

  • Welchen Zweck erfüllt ein Newsletter für Dich? (JTBD)

  • Welches Problem löst ein Newsletter für Dich? (Customer Pain)

  • Was wäre mit einem Newsletter besser? (Customer Gain)

Achte auf Workarounds

Workarounds, die Deine Nutzer aktuell verwenden, sind (genauso wie Lösungsvorschläge und Ideen) ein echter Sweet Spot, um Jobs, Pains & Gains zu entdecken. Denn hinter jedem Workaround steckt ein extrem wichtiger Job to Be Done Deiner User. Denn wäre das nicht so, würden sie keinen Workaround nutzen!

Wann immer Deine User Dir also in einem Interview von einem Workaround oder einer anderen „kuriosen Lösung“ berichten, solltest Du direkt nachfragen, welcher JTBD dahinter steckt und welche Probleme aus diesem Workaround entstehen. Falls Du einen JTBD in Deinem Interview entdeckt hast, kannst Du Deinen User auch fragen, was er aktuell nutzt, um diesen Job zu erledigen.

  • Was nutzt Du aktuell um [Job to Be Done] zu erledigen? Wie gehst Du vor?

  • Gab es noch andere Alternativen, die Du zur Lösung in Betracht gezogen hast?

  • Wobei hilft Dir Dein aktueller Workaround? (Job to Be Done)

  • Welche Probleme und Herausforderungen entstehen durch ihn? (Customer Pains)

Interviewe Deine User zu zweit

Damit Du Dich voll und ganz auf Deinen Gesprächspartner konzentrieren kannst und ein angenehmes Gespräch entsteht, solltest Du Deine User Interviews nach Möglichkeit immer zu zweit durchführen.

Denn nur so kannst Du Dich voll und ganz auf Deinen Interviewpartner konzentrieren, während Dein Unterstützer die Notizen festhält.

Außerdem hilft Dir das bei der Nachbereitung Deiner Nutzerinterviews, denn vier Ohren hören bekanntlich mehr als zwei.

Führe User Interviews zu zweit durch

Achtet aber darauf, die Rollen klar zu verteilen! Derjenige von Euch, der die Notizen macht, sollte keine Fragen stellen und umgekehrt. Für Deine Interviewpartner kann es sehr verwirrend sein, wenn urplötzlich jemand anderes ins Interview einsteigt.

Notiere mit dem Stift

Außerdem solltest Du Notizen während Deines User Interviews handschriftlich anfertigen.

Zum einen hast Du auf diese Weise viel mehr Möglichkeiten bei Deinen Notizen. Du kannst wichtige Informationen mit einem Kasten kenntlich machen, unterstreichen und mit Pfeilen schnell Verbindungen herstellen.

Zum anderen zwingt Dich das Schreiben mit der Hand dazu, Dich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Informationen direkt zu komprimieren. Wenn Du am Laptop mitschreibst, wirst Du dazu neigen, viel zu viele Informationen mitzuschreiben. (Außerdem klackert dann das gesamte User Interview über die Tastatur, was einen zusätzlichen Störfaktor darstellen kann.)

Handschriftlich bedeutet übrigens nicht zwangsläufig, dass Du Papier & Stift nutzen musst. Ein Laptop (mit Touchscreen) & Pen geht natürlich auch.

Frage, ob Du Deine Interviewpartner später noch einmal kontaktieren darfst

Nicht immer wirst Du schon bei Deinen ersten User Interviews die richtigen Fragen gestellt haben.

In der Regel ist es so, dass Du erst nach mehreren Interviews bestimmte Muster bei Deinen Nutzern erkannt hast. Manchmal ist es dann ein wenig ärgerlich, dass Du Deinen ersten Interviewees bestimmte Fragen nicht gestellt hast.

Gewöhne Dir deshalb an, Deine Interviewpartner immer zu fragen, ob Du sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal kontaktieren darfst. So kannst Du immer noch einmal ein kurzes Folgeinterview durchführen.

Kontaktiere Gesprächspartner für ein zweites User Interview

Außerdem kannst Du auf diese Weise spätere Phasen Deines Innovationsprozesses vorbereiten, in denen Du weitere Tests & Experimente durchzuführst. Wenn Du jeden Gesprächspartner fragst, ob Du ihn oder sie später noch einmal kontaktieren darfst, kannst Du Dir in Deinen User Interviews einen Pool an (potentiellen) Teilnehmern anlegen, mit denen Du später weitere Workshops durchführen kannst.

Nachbereitung Deiner User Interviews

Nach jedem Interview gibt es einige Dinge, die Du nicht vergessen solltest. Vor allem solltest Du Dir Zeit reservieren, Deine Ergebnisse zu sichern und in ein passendes Template zu übertragen. Nur so vermeidest Du, dass Du wichtige Erkenntnisse vergisst.

Werte Deine Ergebnisse direkt nach dem User Interview aus

Unmittelbar nach einem User Interview ist Deine Erinnerung (und die Deines Unterstützers) noch frisch und klar. Nutze das und werte die Ergebnisse direkt anschließend aus. Je länger Du damit wartest, desto ungenauer werden Deine Erkenntnisse in der Regel. Reserviere Dir deshalb immer mindestens 15 Minuten Zeit, um Deine Mitschriften aus dem Interview ins Reine zu schreiben und Dich mit dem Menschen auszutauschen, der Dich unterstützt hat.

Nutze Templates für Deine Interview-Ergebnisse

Außerdem solltest Du die Erkenntnisse aus Deinem User Interview mit Hilfe eines geeigneten Templates festhalten. Hierzu bieten sich zum Beispiel das Value Proposition Canvas oder auch die Empathy Map an.

Fertige zunächst ein eigenes, individuelles Template für jeden Interviewpartner an, sodass Du Deine Ergebnisse später miteinander vergleichen kannst. Vergiss nicht, den Namen des interviewten Nutzers zu notieren und gegebenenfalls auch das Datum des Interviews.

Erst nachdem Du Muster und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Interviews identifiziert hast, solltest Du ein Value Proposition Canvas, eine Empathy Map oder auch eine Buyer Persona anfertigen, die stellvertretend für Dein gesamtes Customer Segment steht.

In meinem Downloadbereich findest Du einige Vorlagen, die Dir dabei helfen, Deine Interviewergebnisse festzuhalten:

Value Proposition Canvas

Führe solange User Interviews durch, bis Du Muster erkennst

Einige häufige Frage, die beim Thema User Interview aufkommt, ist: „Wie viele Interviews muss ich denn führen?“ Und leider lässt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten.

Manchmal braucht es einige Dutzend Interviews, manchmal reichen allerdings auch nur 5. Das liegt nicht unbedingt an den gewählten Interviewpartnern, sondern kann auch daran liegen, dass Du eventuell in den ersten Interviews die „falschen Fragen“ gestellt hast und Dir so wichtige Aspekte zunächst nicht aufgefallen sind.

  • Im Normalfall reichen zwischen zehn und zwölf User Interviews.
  • In jedem Fall solltest Du solange Interviews durchführen, bist Du klare Muster in den Antworten Deiner User erkennen kannst!

Führe nach Deinen User Interviews weitere Tests & Experimente durch

Auch wenn es verführerisch sein mag, solltest Du nicht glauben, dass Du nach vielen guten User Interviews bereits alles Wichtige über Deine Nutzer erfahren hast. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was Dir Deine Gesprächspartner sagen und dem, was sie wirklich tun.

Das heißt natürlich nicht, dass Dich Deine Interviewees absichtlich belügen. Vielmehr sind sie sich vieler Dinge gar nicht genau bewusst. Und auch bei der besten Interview-Atmosphäre wird es passieren, dass Dir Deine User sozial erwünschte Antworten geben, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Für Dich bedeutet das, dass Du die Erkenntnisse aus Deinen User Interviews später durch weitere Tests & Experimente validieren musst. Hierzu kannst Du beispielsweise Methoden wie A Day in the Life bzw. User Shadowing oder auch Workshops wie die Product Box oder Buy a Feature verwenden.

In jedem Fall gilt, dass Deine Reise nach den User Interviews nicht beendet ist, sondern gerade erst begonnen hat.

Fazit zu User Interviews

User Interviews sind eine extrem wertvolle und hilfreiche Möglichkeit, um sehr schnell mehr über Deine Nutzer zu erfahren. Die Informationen, die Du dadurch erlangst, sind durch nichts zu ersetzen. Wie bei allem anderen braucht es jedoch auch hier ein wenig Übung, aber mit den Tipps aus diesem Artikel wirst Du schnell Deinen eigenen Weg finden.

Falls Du noch Fragen, Ideen, Anmerkungen oder Kritik zu diesem Beitrag hast, freue ich mich wie immer über Feedback von Dir in den Kommentaren unten auf der Seite. Wenn Du Dich intensiver zum Thema User Interviews austauschen möchtest, kannst Du auch ein neues Thema in unserem Forum zu Tools & Methoden beginnen.