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In der Produktentwicklung liegt der Fokus sehr häufig auf dem Produkt selbst und darauf, Kunden mit sensationellen neuen Features dazu zu begeistern, es zu kaufen. Diesen Blickwinkel solltest Du als Product Owner sicherlich nicht außer Acht lassen. Allerdings erfasst Du aus dieser Perspektive nur eine von vier relevanten Kräften, die hier am Werke sind. Mit den Four Forces of Progress schärfst Du Deinen Blick für alle vier relevanten Kräfte, die Kunden dazu bringen, sich für Dein Produkt zu entscheiden.

Forces of Change

Forces of Change sind diejenigen Kräfte, die dazu führen, dass sich ein Interessent für den Kauf Deines Produktes entscheidet. Zum einen hat Dein Kunde ein Problem, das er mit seinen derzeitigen Mitteln nicht gut genug (oder schlimmstenfalls gar nicht) lösen kann. Das Problem wird häufig auch als Push-Faktor bezeichnet, weil es Menschen den notwendigen Schubser gibt, sich um eine Lösung zu kümmern. Zum anderen hat Dein Produkt selbst bestimmte Merkmale und Eigenschaften, die Deinem Kunden dabei helfen sollen, eben dieses Problem zu lösen. Dein Produkt erzeugt also Attraction und ist der sogenannte Pull-Faktor.

Problem

Da wo kein Problem existiert, brauchen Deine Kunden auch keine Lösung. Wenn es Dir zwar gelungen ist, einen wichtigen Job to Be Done (JTBD) zu identifizieren, dieser aber bereits mit existierenden Lösungen gut erledigt werden kann, benötigen Deine Kunden Dein neues Produkt schlichtweg nicht. Warum sollte jemand etwas ändern, wenn bestimmte Aufgaben bereits gut gelöst werden können?

Es ist daher ungemein wichtig für Dein Produkt, dass es ein existierendes (möglichst konkretes und schmerzendes) Problem löst, das Deine Kunden daran hindert, einen JTBD zu erledigen. Ansonsten entwickelst Du ein Produkt auf der “Suche nach einem Problem”.

  • In meinem Artikel über den Opportunity Score kannst Du nachlesen, wie Du dieses Thema angehen kannst.

  • Auch das Hypothesis Progression Framework kann Dir dabei helfen, den Fokus Deiner Produktentwicklung stärker auf die Lösung eines konkreten Problems zu lenken.

Attraction

Menschen kaufen Produkte nicht, um sie zu besitzen oder zu nutzen. Sie kaufen Produkte und Dienstleistungen, um ihr Leben besser zu machen. Wenn sie das richtige Produkt für ihr Problem haben, sind sie in der Lage Dinge zu tun, die sie vorher nicht tun konnten. Für Deine Kunden ist Dein Produkt daher in erster Linie nicht mehr als ein Mittel zum Zweck. Und der Zweck Deines Produktes ist der Job to Be Done Deiner Kunden. Je besser Dein Produkt den Job erledigt, desto mehr Attraction erzeugt es.

Forces of Status Quo

Während die Forces of Change (wie eingangs erwähnt) meist große Beachtung erfahren, werden die Forces of Status Quo eher stiefmütterlich behandelt. Dabei sind es gerade sie, die dazu führen, dass Dein neues Produkt nicht gekauft wird. Und das gilt eben auch für Produkte, die einen sensationellen Nutzen erzeugen (könnten). Ja, es gilt sogar für diejenigen Produkte, die ein existierendes und sehr dringendes Problem lösen (könnten).

Falls Dein Produkt also das Leben Deiner Kunden besser machen kann und Du auch ein konkretes Problem Deiner Kunden löst, es sich aber trotzdem nicht (gut) verkauft, lohnt sich ein Blick auf die Forces of Status Quo. (Auch das Evidence-Based Management kann Dir dabei helfen, Gewohnheiten und andere Blocker zu identifizieren, die dazu führen, dass Deine Kunden nicht vom Nutzen Deiner Produkte profitieren. Die Key Value Area, die Dir hierbei am meisten weiterhilft, ist Ability to Innovate.)

Uncertainty

Wenn ein potenzieller Neukunde ein Produkt noch gar nicht gekauft hat, wird er sich in der Regel eine Menge Fragen stellen: “Löst das mein Problem wirklich?”, “Wie kann ich das verwenden?”, “Wird es lange genug halten?” etc. Ist das Produkt zusätzlich noch von einer ihm unbekannten Firma, erhöht sich die Unsicherheit weiter. Selbst Bestandskunden können durch Fehlfunktionen eines Produktes verunsichert werden und dann beginnen sie, die Verlässlichkeit des Produktes in Zweifel zu ziehen.

Biete Deinen Neukunden einen möglichst risikoarmen Einstieg in Dein Produkt und lasse sie damit Erfahrungen sammeln. Ein gutes und sehr einfaches Mittel sind beispielsweise kostenlose Testzeiträume. Selbst für den Fall, dass Du diese Kunden nach dem kostenlosen Testzeitraum wieder verlierst, kannst dadurch wertvolle Informationen sammeln. Versäume deshalb nicht, mit diesen Menschen zu sprechen, um zu erfahren, warum sie Dein Produkt nicht weiter verwenden möchten. Diese Informationen kannst Du dazu nutzen, Dein Produkt weiter zu verbessern und genauer auf Deine Zielgruppe zuzuschneiden.

Habit

Gewohnheiten sind der schlimmste Feind innovativer Produkte. Die meisten Menschen sind Gewohnheitstiere und nutzen das, was sie aktuell haben. Erschwert wird ein Wechsel zu einem neuen Produkt häufig auch durch geschlossene Systeme, in die Anbieter ihre Kunden sperren. Der Wechsel von der XBox One zur PS5 führt beispielsweise dazu, dass ein Gamer seine bisherigen Spiele nicht mehr nutzen kann. Auch der Wechsel zwischen Apple und Microsoft fällt in diese Kategorie.

Für Dein Innovationsprodukt bedeutet das, dass Du es im besten Fall so designst, dass Deine Kunden sich möglichst wenig – am besten gar nicht – umstellen müssen. Sorge dafür, dass Dein Produkt möglichst nahtlos in die existierende Umwelt Deiner Kunden passt und nicht für Irritationen sorgt. Identifiziere die Hürden, die Deine Interessenten davon abhalten, sich für Dein Produkt zu entscheiden, und beseitige sie!

Sprich mit Deinen Kunden!

Um die Four Forces of Progress zu identifizieren, denen Deine (potenziellen) Kunden ausgesetzt sind, solltest Du gezielt Kundeninterviews durchführen. Dabei kann es sowohl hilfreich sein, mit Kunden zu sprechen, die Dein Produkt nicht mehr nutzen wollen, als auch mit reinen Interessenten, die sich gegen Dein Produkt entschieden haben. Von ihnen kannst Du vieles über die Kräfte Uncertainty und Habit erfahren. Aber auch sogenannte Switch Interviews mit Kunden, die sich erst kürzlich für Dein Produkt entschieden haben, sind hier sehr hilfreich.