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Nachdem ich im letzten Artikel zu Wardley Maps dargestellt habe, welche Folgen Inertia (Trägheit) für Deine Organisation haben kann, möchte ich Dir heute einen möglichen Lösungsweg aus der Situation aufzeigen: Die Rede ist von Creative Destruction beziehungsweise Schöpferischer Zerstörung.

Dabei werde ich allerdings einen kleinen dramaturgischen Bogen schlagen (müssen), weil ich Dir vor allem vermitteln will, warum Creative Destruction ein so wichtiges Thema ist und jede Organisation gut beraten ist, sie umzusetzen.

Ein Weg, um Schöpferische Zerstörung zu verstehen und in Deinem Unternehmen anzuwenden, ist das sogenannte 3-Horizonte-Modell, auf das ich ganz am Schluss eingehen werde. Außerdem werden wir die Climatic Patterns um zwei weitere Muster erweitern:

  • Economy has Cycles – Peace, War & Wonder

  • Punctuated Equilibrium)

Die S-Kurve

Beginnen möchte ich mit der sogenannten S-Kurve, die den Ausgangspunkt für unsere Reise zur Creative Destruction bildet.

Die S-Kurve macht sichtbar, wie viel Wert durch eine Komponente im jeweiligen Evolutionsstadium erzeugt werden kann und wie sie damit zum Wachstum oder der Weiterentwicklung Deiner Organisation beitragen kann.

Dazu legen wir die S-Kurve einfach über die vier Evolutionsphasen Genesis, Custom Built, Product und Commodity einer Wardley Map, wie hier rechts zu sehen.

In der Genesis-Phase unseres neuen Produktes ist die Wertschöpfung der neuen Komponente natürlich noch recht niedrig, auch wenn das Potenzial grundsätzlich ziemlich hoch ist.

Gelingt es uns, die Komponente erfolgreich in die Phase Custom Built bzw. Product zu überführen, steigt der Wert sprunghaft an, weil unsere Geschäftsidee aufgeht und wir damit Umsätze generieren können.

Irgendwann jedoch – nämlich dann, wenn das Produkt zur Commodity wird – ist es kaum noch möglich, das Produkt weiter zu verbessern oder zu optimieren und die Kurve flacht wieder ab, sodass wir die typische S-Kurve erhalten.

Climatic Pattern 8: Economy has Cycles (Peace, War & Wonder)

Jetzt kommen wir zum zweiten Punkt, den wir später mit der S-Kurve kombinieren werden.

Mit Hilfe der Wardley Map können wir erkennen, dass immer wieder das gleiche Muster auftaucht und sich ein stets wiederholender Kreislauf zeigt.

Simon Wardley nennt dieses Climatic Pattern: Economy has Cycles.

Aber worin besteht dieser Kreislauf?

Alle Komponenten erzeugen durch ihre fortlaufende Evolution die Phasen Peace, War & Wonder.

Wonder

Neue Elemente oder emergente Innovationen entstehen immer im linken Bereich (Genesis) einer Wardley Map. Sie werden noch nicht richtig verstanden, haben noch keinen klar definierten Markt und verändern sich permanent und oft. Vielleicht besteht die Möglichkeit, daraus Wert zu generieren, aber das Risiko ist aktuell noch sehr hoch.

Sollte es allerdings gelingen, durch ein innovatives Produkt Wert zu generieren, ist der daraus resultierende Erfolg außerordentlich hoch. Diese Art von Komponenten sind so vollkommen neuartig und anders, dass wir dann meist von einem Wunder sprechen.

Was wir außerdem erkennen können:

Jedes Wunder basiert immer darauf, dass vorangehende, notwendige Komponenten den Kriegszustand (War) erreicht haben.

Streamingdienste wie Netflix oder Spotify konnten erst entstehen, als das Internet der meisten Menschen ausreichend Bandbreite besaß und möglichst überall verfügbar war. Wikipedia konnte seinen Siegeszug erst dann antreten, als Creative Commons, Netzabdeckung und Kollaborationsplattformen wie MediaWiki ausreichend verbreitet und verstanden waren.

Peace

Überlebt eine neu entstandene Komponente die Genesis-Phase, beginnt sie, sich zu schärfen. Wir verstehen ihren Nutzen besser. Verschiedene Produkte, Modelle und Ideen existieren zu diesem Zeitpunkt gleichberechtigt nebeneinander. Wirtschaftlich betrachtet bedeutet das eine längere Phase des Friedens (Peace), weil der Markt groß genug für alle Beteiligten ist und man sich recht wenig „ins Gehege kommt“. Die Evolution der Komponente schreitet voran und Innovation ist vor allem linear:

Bestehende Ideen und Konzepte werden immer weiter verfeinert und verbessert, aber das Produkt verändert seine Eigenschaften dabei nicht dramatisch.

Es ist außerdem möglich, Alleinstellungsmerkmale für das eigene Produkt zu etablieren. Unternehmen können in dieser Phase des Friedens große Profite erzielen, während ihr Risiko fortlaufend geringer wird.

War

Irgendwann erreicht jedes Produkt jedoch den Punkt, an dem es seine letzte Phase betritt und zur Commodity wird. Viele große Unternehmen wollen diesen Schritt aufgrund ihrer eigenen Trägheit nicht machen, weshalb es oft vollkommen andere, neue Organisationen sind, die eine Commodity durch ein neues Produkt ablösen. (So wie beispielsweise Wikipedia die Brockhaus-Enzyklopädie abgelöst hat.)

Falls es mehrere große Anbieter gibt, haben diese keine Möglichkeit mehr, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln oder zu erhalten. Aus verschiedenen Produkten mit individuellen Alleinstellungsmerkmalen wird eine uniforme Commodity. (Es wäre beispielsweise undenkbar, dass jemand Strom mit 150V statt 220V produzieren und anbieten könnte, um dadurch ein Alleinstellungsmerkmal zu etablieren.)

Nun betreten die beteiligten Organisationen die War-Phase. Ihre Margen werden immer kleiner. Es besteht keine Möglichkeit mehr, sich irgendwie von seinen Mitbewerbern abzuheben oder zu unterscheiden. Die einzige Option, die Unternehmen in diesem Umfeld haben: Prozesse optimieren, Kosten senken oder die Verschlankung der Produktion. (Denk nur an Mobilfunkanbieter, Internetprovider oder Stromlieferanten.)

  • Alternativ kann ein Unternehmen jedoch auch auf eine Blue-Ocean-Strategie zurückgreifen, um der War Phase zu entkommen und einen neuen Markt zu kreieren.

Gleichzeitig bewirkt die Allgegenwart von Commodities, dass auf ihnen neue Wunder aufbauen und entstehen.

Climatic Pattern 9: Punctuated Equilibrium

Legen wir jetzt das S-Kurven-Modell über eine Wardley Map mit den Phasen Peace, War & Wonder, können wir erkennen, dass es beim Eintritt von Produkten in die Evolutions-Phase Commodity für alle beteiligten Unternehmen oder Organisationen eng wird, da Profite immer kleiner werden.

Zusätzlich beschleunigt sich die Verbreitung der Komponente exponentiell. Das ganze Ökosystem „kippt“ und es entsteht das, was wir Disruption nennen.

Kapital fließt innerhalb kürzester Zeit in neue Bereiche (hin zu den neuen Wundern) und diejenigen Unternehmen, die zu lange gezögert und nur zugeschaut habe, haben urplötzlich das Nachsehen. Voraussichtlich sterben sie in der War-Phase ihres aktuellen Produktes. Simon Wardley bezeichnet dieses Phänomen als Punctuated Equilibrium, einem aus der Biologie entliehenen Begriff, der sprunghafte Veränderungen in Ökosystemen erklärbar macht.

Aktuell kannst Du das Punctuated Equilibrium beispielsweise gut an der deutschen Autoindustrie erkennen. Jahrelang hat diese aufgrund ihrer eigenen Trägheit ihre bestehenden Value Chains optimiert und geschützt. Gleichzeitig überließ man Unternehmen wie Tesla innovative Bereiche wie autonomes Fahren beziehungsweise Elektromibilität. Es ist also kein Zufall, dass Tesla die deutsche Automobilindustrie überholt, denn Tesla hat eben keine Inertia wie seine Mitbewerber und kann den nächsten Evolutionsschritt des Autos viel leichter vollziehen als Volkswagen und Co.

Die Hektik deutscher Hersteller, den drohenden Schaden noch irgendwie abzuwenden, kommt also nicht von ungefähr, sondern ist ein gutes Zeichen dafür, dass die Autoindustrie in die War-Phase eingetreten ist und sich in einem Punctuated Equilibrium befindet.

Creative Destruction – Economy has Cycles

Jetzt, da wir zwei neue Climatic Patterns kennen, stellt sich die Frage, wie eine Organisation damit umgehen kann, wenn sie nicht das gleiche Schicksal wie Brockhaus oder Volkswagen erleiden möchte. Ein möglicher Lösungsansatz ist Creative Destruction (oder auch Schöpferische Zerstörung).

Schematisch lässt sich das Climatic Pattern Economy has Cycles nämlich auch mit den eingangs vorgestellten S-Kurven darstellen:

Creative Destruction besteht nun darin, zu akzeptieren, dass die geliebte Cash-Cow irgendwann nicht mehr ausreichend Profit abwerfen wird und neue, profitablere Produkte (Wunder) entstehen werden. Diese Wunder werden genau deshalb möglich, weil unser aktuelles Produkt zur Commodity wurde.

Schöpferische Zerstörung bedeutet im Grunde nichts anderes als Selbstkannibalismus. Wir entwickeln selbst ein neues Produkt, das unserem bisherigen den Hahn zudreht. Durch Creative Destruction schaffen uns durch unsere eigene Innovation selbst ab. Die meisten Unternehmen scheuen diesen Schritt, weil dieses Vorgehen auf den ersten Blick widersinnig klingt.

Warum sollten wir ein neues Produkt herstellen, das in Konkurrenz zu unserem eigenen (vielleicht sogar aktuell noch sehr profitablen) Produkt steht? Die simple Antwort darauf ist:

Wenn wir es nicht selbst tun, wird es jemand anderes tun.

Während wir also das Punctuated Equilibrium erleben (aber nicht wissen, ob wir es überleben), entstehen neue (profitable) Märkte, die sich andere Organisationen erschließen werden. Der Trick von Creative Destruction besteht aber nicht darin, ausschließlich die eigene Wertschöpfungskette zu zerstören, sondern gleichzeitig ein neues Produkt zu erschaffen, das darauf aufbaut – bevor es jemand anderes macht.

Genau das hat Apple beispielsweise getan, als es mit der Entwicklung des iPhones den iPod abgelöst hat, der dadurch überflüssig wurde. Nichts anderes ist die Apple Watch: Eine Wette gegen das eigene, existierende Produkt.

Das 3-Horizonte-Modell

Noch deutlicher wird die Vorgehensweise von Creative Destruction, wenn wir die drei aufeinander aufbauenden S-Kurven mit dem 3-Horizonte-Modell darstellen. Kurz gefasst besagt das 3-Horizonte-Modell, dass jedes Unternehmen, das überleben will, auf allen drei Horizonten arbeiten muss.

Horizont 1

Horizont 1 ist das aktuelle Geschäftsmodell oder Daily Business. Hier ist es wichtig, dass Prozesse gut laufen und möglichst effizient sind. Unsicherheiten sollten nach Möglichkeit eliminiert sein: Wirkliches Wachstum ist nicht (oder kaum noch) möglich.

Horizont 2

Horizont 2 beschäftigt sich mit Produkten und Innovationen, die in der Zukunft liegen. (In der Software-Entwicklung legt man oft einen Zeitraum von 12 bis 24 Monaten zugrunde.)

Horizont 3

Der Zeitraum für Horizont 3 liegt mit 18 bis 36 Monate noch weiter in der Zukunft. Ob sich aus den Ideen in diesem Horizont tatsächlich einmal ein etabliertes Produkt entwickeln kann, ist heute noch vollkommen unklar. Ideen und Innovationen, die sich als erfolgversprechend erweisen, wandern später in den Horizont 2.

Peace, War & Wonder im 3-Horizonte-Modell

Damit ist das 3-Horizonte-Modell im Einklang mit den Phasen Peace, War & Wonder einer Wardley Map und eine gute Hilfe, um herauszufinden, ob sich Dein Unternehmen wirklich auf allen 3 Horizonten bewegt und die passenden Vorgehensweisen für jeden Horizont nutzt.

Dazu müssen wir lediglich die S-Kurven ein klein wenig verschieben, damit es hübscher aussieht.

Das 3-Horizonte-Modell im Detail

  • Horizont 1 entspricht der S-Kurve unseres aktuellen Produktes, das sich allerdings bereits in der War-Phase befindet. (Die Wonder- und Peace-Phase hat es sozusagen schon hinter sich gebracht.)
  • Horizont 2 erstreckt sich auf unseren Produkt-Nachfolger, mit dem wir (durch Creative Destruction) unsere aktuelle Cash-Cow aus Horizont 1 ablösen werden. Diese Wardley-Map-Komponente befindet sich also im besten Fall bereits in den Evolutionsphasen Custom Built oder Product.
  • Horizont 3 betrifft Innovationen, die gerade erst damit beginnen, sich herauszukristallisieren. Sie befinden sich noch ganz am Anfang der S-Kurve in der Wonder-Phase. (Oder eben auf der Evolutionsstufe Genesis.)

Das war’s von meiner Seite zum Thema Creative Destruction. Falls Du noch Fragen hast, wie die Schöpferische Zerstörung mit Wardley Maps, der S-Kurve und dem 3-Horizonte-Modell kombinierbar ist, schreib mir gerne einen Kommentar hier unten auf der Seite. Ich freu mich über Feedback von Dir!

Im nächsten Artikel zu Wardley Maps geht es dann um Pioniere, Siedler & Städteplaner.

Abschließend wie gewohnt noch einmal die Übersicht über die Simon Wardleys Climatic Patterns.