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Wenn Du Dich mit OKR beschäftigst, wird Dir vielleicht auch schon die Idee der sogenannten Stretch Goals begegnet sein. In diesem Artikel möchte ich Dir zeigen, wie gut formulierte OKR Dir und Deinem Team helfen können, mit Hilfe von Stretch Goals Flow zu ermöglichen. Allerdings musst Du dafür etwas mehr tun, als lediglich die Messlatte (für andere) außerordentlich hoch zu legen.

Was steckt hinter der Idee von Stretch Goals?

Im Grunde ist der Gedanke hinter Stretch Goals recht einfach: Wenn wir uns immer nur Ziele setzen, die wir relativ leicht erreichen können, müssen wir nie unsere eigene Komfortzone verlassen. Dadurch verbleiben wir jedoch mit unseren Fähigkeiten immer auf dem aktuellen Level, ohne besser zu werden.

K. Anders Ericsson erklärt diesen Effekt in seinem Buch Top – Die neue Wissenschaft vom Lernen mit dem Prinzip der Homöostase.

Solange es unserem Gehirn mit seinen aktuellen Fähigkeiten gelingt, ein Gleichgewicht zwischen uns und unserer Umwelt herzustellen, besteht überhaupt kein Bedarf, dass Veränderung entsteht. Erst dann, wenn unser Gehirn nicht mehr in der Lage ist, dieses Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, beginnt es, sich anzupassen.

Immer dann, wenn wir also unsere Komfortzone verlassen, setzen wir für unser Gehirn den Impuls, sich zu verändern beziehungsweise zu verbessern.

Durch Stretch Goals werden wir immer besser

Ambitionierte Ziele (oder eben Stretch Goals) sind deshalb ein gut geeignetes Mittel, immer besser zu werden.

Stretch Goals erzeugen Flow durch geeignete Herausforderungen

Damit spielen Stretch Goals eine wichtige Rolle, um Flow zu erzeugen. Denn eine Bedingung, um Flow zu erleben, sind die richtigen Herausforderungen. Der Flow-Forscher Mihaly Csikszentmihalyi hat herausgefunden, dass wir Flow nur dann erleben können, wenn die Herausforderungen, denen wir uns stellen, immer ein klein wenig über unseren aktuellen Fähigkeiten liegen.

Setzen wir uns die Messlatte zu hoch, kommen wir in die Bereiche der Überforderung (Erregung, Angst, Sorge). Sind die Herausforderungen zu niedrig, befinden wir uns in den Bereichen der Unterforderung (Kontrolle, Entspanntheit oder sogar Langeweile).

Stretch Goals lassen sich deshalb durch gut formulierte Key Results erzeugen. Hier haben wir die Möglichkeit, unsere Erfolgs-Metriken genau so zu setzen, dass sie die für uns geeignete Herausforderung darstellen. Wir legen uns die Messlatte also selbst so hoch, dass wir es schon als Erfolg ansehen würden, wenn wir wenigstens 70 Prozent unseres Ziels erreichen. (Trotzdem ist es aber nicht komplett unrealistisch, dass wir auch 100 Prozent erzielen können.) Key Results, die wir in jedem Quartal leicht erreichen, sind ein guter Hinweis darauf, dass wir uns selbst die Messlatte zu niedrig legen und uns in unserer Komfortzone bewegen.

Key Results sorgen für Klarheit & Feedback

Es ist kein Zufall, dass John Doerr in seinem Buch über OKR so viel Wert darauf legt, dass gute Key Results keinen Zweifel darüber lassen, ob sie erfüllt sind oder nicht.

Nur dann sorgen sie für größtmögliche Klarheit und geben uns Feedback darüber, ob das, was wir tun, uns auch voranbringt.

Klarheit und Feedback sind ebenfalls zwei Dinge, die für das Flow-Erlebnis wichtig sind. Denn Flow entsteht nur dann, wenn wir immer genau wissen, wo wir gerade stehen und was wir als nächstes tun müssen.

Klare Ziele sorgen für mehr Flow

Falls wir erst darüber nachdenken oder mit anderen darüber diskutieren müssen, was unser aktueller Stand ist und was die nächsten sinnvollen Schritte sein könnten, reduziert das die Chance auf Flow ungemein und macht ihn schlimmstenfalls unmöglich.

Neben den geeigneten Herausforderungen durch Stretch Goals solltest Du bei Deinen Key Results also auch auf Klarheit und die Möglichkeit für unmittelbares Feedback achten.

Gute Objectives fördern intrinsische Motivation

Nun könntest Du meinen, dass Du mit anspruchsvollen Key Results eigentlich schon alles hast, um Flow zu erzeugen. Was soll das also mit den Objectives? Falls Du so denkst, kannst Du auch weiterhin SMART-Ziele nutzen oder irgendwelche KPI, denn das läuft letzten Endes auf das Gleiche hinaus. Denn dann hast Du vielleicht Stretch Goals durch ambitionierte Kennzahlen, aber niemand in Deinem Team (einschließlich Dir selbst) wird sich die Mühe machen, sie zu erreichen.

Flow und Motivation entstehen jedoch nur dann, wenn wir bei dem, was wir tun, intrinsisch motiviert sind. Kennzahlen und Metriken allein sind aber denkbar ungeeignet, uns den Sinn oder die Bedeutung unseres Tuns zu vermitteln. Es ist eben etwas anderes, ob wir 100 neue Produkte verkaufen (Key Result) oder ob wir Menschen dafür begeistern wollen, ihre Arbeit anders zu gestalten (Objective).

Eine gute OKR-Formulierung vermittelt Dir und Deinem Team also auch den Grund, warum ihr Euch etwas Bestimmts vornehmt. Die dazugehörigen Metriken bzw. Key Results sorgen lediglich für ausreichend Klarheit, Feedback und eine angemessene Herausforderung.

Stretch Goals entstehen deshalb nur durch ein ausgewogenes Zusammenspiel von Objective und Key Results.

Worauf Du bei Stretch Goals achten solltest

Damit Stretch Goals wirklich funktionieren, bedarf es einiger Grundvoraussetzungen. Denn es ist eine Sache, Stretch Goals zu formulieren. Aber es ist eine ganz andere Sache, dass sie von allen auch akzeptiert und angenommen werden.

Hierbei spielen eine gemeinsam geteilte Unternehmensvision, Autonomie & Selbstorganisation, Psychologische Sicherheit sowie eine offene & positive Fehlerkultur eine wichtige Rolle.

Gemeinsam geteilte Vision

Wenn Stretch Goals funktionieren sollen, musst Du Dir als OKR Master gemeinsam mit Deinen Kollegen – am besten mit dem gesamten Unternehmen – überlegen, was wirklich wichtig für Euch ist.

Wenn Du versuchst, mit einem top-down vorgegebenen Objective irgendwie Sinn an „seelenlose Kennzahlen dranzuklatschen“, kannst Du Dir die Mühe auch gleich sparen.

Stretch Goals funktionieren nur dann, wenn klar ist, warum es Dein Unternehmen gibt, und welches die Dinge sind, die Euch wirklich wichtig sind und motivieren.

Golden Circle - Unternehmensvision

Autonomie & Selbstorganisation

Zweitens spielen Autonomie und Selbstorganisation bei der Formulierung von Stretch Goals ebenfalls eine wichtig Rolle. Teams müssen sich ihre ambitionierten Ziele selbst geben (dürfen), denn sie allein können am besten einschätzen, was sie in der Lage sind zu leisten.

Es ergibt schlichtweg keinen Sinn, wenn ein Team sagt, wir setzen uns auf das Key Result 70 Verkäufe von Produkt xy und dann jemand daherkommt und daraus 100 Verkäufe macht. Nur weil er oder sie der Meinung ist, dass das Team sich durchaus noch ein klein wenig mehr strecken könnte.

Wenn Ihr Stretch Goals in Eurer Organisation nutzen wollt, ist es wichtig, dass sich jedes Team seine Ziele selbst setzt.

Psychologische Sicherheit

Nichts ist gefährlicher als Stretch Goals in Kombination mit einer Kultur der Angst. Wenn Ziele extrem hoch gesteckt werden, ist es wichtig, dass Probleme & Herausforderungen offen angesprochen werden können. (Beispielsweise ob ein Stretch Goal überhaupt erreichbar ist.)

Die weitere wichtige Voraussetzung für funktionierende Stretch Goals ist deshalb Psychologische Sicherheit. Sie sorgt dafür, dass in Deinem Team und in Deiner Organisation ein Klima herrscht, die es für jeden Beteiligten möglich macht, aufrichtig zu kommunizieren.

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Offene und positive Fehlerkultur

Viertens müsst Ihr Wege finden, mit nicht erreichten Zielen umzugehen. Die Idee von Stretch Goals ist es ja zu sagen:

Wir legen uns eine hohe Messlatte. Wenn wir alles geben, können wir das schaffen, aber selbst wenn wir nur 70 Prozent erreichen, ist das schon ein tolles Ergebnis.

Gerade in Konzernen ist das erstmal eine Umgewöhnung, denn die meisten Manager werden ja erwarten, dass gesetzte Ziele immer zu 100 % erreicht werden (sollen). Damit eine solche positive Fehlerkultur entstehen kann, bedarf es natürlich auch einer entsprechenden agilen Führung. Hierbei sind Ansätze wie beispielsweise Humble Inquiry von Edgar Schein außerordentlich hilfreich.

Fazit zu Stretch Goals

Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Beitrag die Vorteile durch Stretch Goals aufzeigen und Dir mit meinen Tipps ein wenig dabei helfen, auch in Deinem Team ambitionierte Ziele zu formulieren. Außerdem hoffe ich, dass ich Dir vermitteln konnte, dass Stretch Goals nur dann wirklich funktionieren, wenn wichtige Aspekte wie Unternehmenskultur und Führung den Boden für sie bereitet haben.

Falls Du noch Fragen zum Thema hast oder Ideen, Anregungen und Kritik zu diesem Beitrag freue ich mich wie immer auf Dein Feedback hier unten in den Beiträgen.