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Group Thinking ist ein Begriff, der (wahrscheinlich) auf den Psychologen Irving Janis zurückgeht und der damit auch auf den Begriff Doublethink aus George Orwells Roman 1984 anspielen wollte. Nach Janis ist Group Thinking ein „Denkmodus, den Personen verwenden, wenn das Streben nach Einmütigkeit in einer kohäsiven Gruppe derart dominant wird, dass es dahin tendiert, die realistische Abschätzung von Handlungsalternativen außer Kraft zu setzen.“

Inhaltsverzeichnis

Wie entsteht Group Thinking?

Group Thinking entsteht vor allem durch eine (zu) hohe Gruppenkohäsion. Also dann, wenn sich die Mitglieder eines Teams ganz besonders nahe stehen, die gleichen Ansichten haben und der Zusammenhalt im Team ganz besonders hoch ist. Der vielbeschworene Teamgeist kann deshalb auch durchaus negative Effekte haben, wenn er dazu führt, dass Gruppendenken entsteht.

Zweitens führen auch organisatorische oder strukturelle Faktoren zur Entstehung von Group Thinking. Beispielsweise, wenn es innerhalb einer Gruppe oder eines Teams einen besonders starken Anführer gibt. (Dieses Phänomen wird auch gerne Hippo-Effekt genannt.)

Aber auch eine Abgrenzung oder sogar Abschottung eines Teams nach außen kann verhindern, dass alternative Sichtweisen thematisiert werden können.

Darüber hinaus führt eine mangelnde Psychologische Sicherheit dazu, dass eine Kultur des Schweigens in einem Team oder sogar einer ganzen Organisation entsteht.

Alternative Sichtweisen sind dann zwar in den Köpfen einzelner Personen vorhanden, werden jedoch nicht ausgesprochen, weil sich niemand traut, der Nestbeschmutzer zu sein.

Kultur des Schweigens

Worin äußert sich Group Thinking?

Durch Group Thinking entstehen verschiedene Phänomene, die sich negativ auf den Erfolg und die Performance eines Teams auswirken.
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Hast Du schon einmal einen oder mehrere dieser Group Thinking-Effekte in Deinem Team erlebt? Wie seid Ihr damit umgegangen?x
Zunächst einmal führt Gruppendenken zu einem starken Gruppenzwang bzw. Peer Pressure innerhalb eines Teams. Zweifel oder Kritik werden dadurch systematisch unterdrückt und Mitglieder mit anderen Ansichten werden als Nestbeschmutzer stigmatisiert. Manchmal kommt es sogar dazu, dass Themen, die im Team besprochen wurden, nicht nach außen dringen dürfen oder sollen, sodass eine Art Zensur entsteht.

Außerdem äußert sich Group Thinking auch durch einen überzogenen Optimismus und eine stark erhöhte Risikobereitschaft eines Teams. Die fehlenden alternativen Perspektiven auf ein Problem bzw. ausbleibende Kritik an einer Lösung führt dazu, dass keine Korrektur erfolgen kann. Selbst dann, wenn sich eine getroffene Entscheidung später als schlecht herausstellen sollte, wird sie durch Gruppendenken systematisch schöngeredet.

  • Auch das Flow-Erleben kann einen überzogenen Optimismus sowie eine erhöhte Risikobereitschaft erzeugen und damit zu ähnlichen Phänomenen führen wie Group Thinking.

Die Folgen von Group Thinking

Group Thinking führt vor allem zu einer selektiven Wahrnehmung von Informationen, die die Meinung innerhalb des Teams bestätigen. Ein Phänomen, das in der Psychologie auch als Confirmation Bias (Bestätigungsfehler) bekannt ist. Gegenargumente werden dadurch umgedeutet, ignoriert oder verzerrt, bis sie wieder ins eigene Weltbild passen. Selbst der Rat von Experten oder anderen Außenstehenden wird durch Group Thinking systematisch ignoriert, zensiert oder umgedeutet.

Ein Team, dass dem Gruppendenken erliegt, ist sich untereinander also derart einig, dass sich die einzelnen Teammitglieder ihre Sichtweise permanent gegenseitig bestätigen.

In der letzten Konsequenz hat Group Thinking deshalb dramatische Folgen, weil es dazu führt, dass ein Team schlechte Entscheidungen trifft. (Und dies noch nicht einmal bemerkt.)

Wie sich Group Thinking mindern lässt

Die schlechte Nachricht ist, dass wir alle anfällig für die genannten psychologischen Phänomene sind und sich Group Thinking niemals vollkommen vermeiden lassen wird. Die gute Nachricht ist jedoch, dass Du Gruppendenken durch einige sehr einfach umzusetzende Methoden zumindest abmildern kannst.

Einige davon möchte ich Dir deshalb im Folgenden vorstellen.
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Kennst Du noch andere hilfreiche Methoden, die die Wirkung von Group Thinking mildern können, und die ich hier erwähnen solte?x

Advocatus Diaboli

Bei der Methode Advocatus Diaboli bestimmt Ihr bei der Diskussion von Problemen und Herausforderungen ein Teammitglied zum Anwalt des Teufels.

Seine Aufgabe ist es, die von Euch aktuell vorgeschlagene Lösung mit Gegenargumenten zu entkräften.

Dabei ist es nicht notwendig, dass dieses Teammitglied diese Meinung bzw. Argumentation tatsächlich vertritt, sondern lediglich, dass es versucht, eine Gegenposition einzunehmen.

Advocatus Diaboli

Psychologische Sicherheit fördern

Zweitens kann es hilfreich sein, dass Ihr Euch in Eurem Team mit dem Thema Psychologische Sicherheit auseinandersetzt, um Group Thinking abzumildern.

Dazu könnt Ihr beispielsweise (über einen einfachen Fragebogen) den aktuellen Grad Eurer Psychologischen Sicherheit regelmäßig messen und im Rahmen Eurer Retrospektive besprechen.

  • Der PsySafety-Check (PS-C) bietet Euch dazu einen leicht handhabbaren und wissenschaftlich gesicherten Fragebogen.

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Humble Inquiry

Drittens kann die Humble-Inquiry-Haltung, die auf den Organisationsentwickler Edgar Schein zurückgeht, hilfreich sein. Humble Inquiry steht für eine Haltung, bei der Du Deinen Gesprächspartner aus echter Neugierde & Interesse nach seiner Meinung fragst.

Auf diese Weise hilft Humble Inquiry dabei, dass sich unsere Gesprächspartner öffnen können und wichtige Informationen und andere Perspektiven zu Tage treten. Humble Inquiry mindert deshalb besonders dann Group Thinking, wenn es durch starke Führungskräfte entsteht.

Liberating Structures

Die meisten Meetings (gerade auf höheren Hierarchiestufen) werden an u-förmigen Tischgruppen durchgeführt. Diese Gesprächsrunden folgen dann ganz bestimmten Mustern, die alternative Sichtweisen und Argumente unterdrücken.

  • Die bekannten Liberating Structures helfen Euch dabei, in Meetings & Workshops stärker auf Augenhöhe zu kommunizieren und Perspektivenvielfalt zu erzeugen. Alle Methoden sind leicht anzuwenden und auch für Anfänger geeignet.

Liberating Structures

Evidence-Based Management

Auch Evidence-Based Management kann Eurem Team dabei helfen, alternative Ansichten und Meinungen zu fördern, weil es durch die Zuhilfenahme von Metriken ein empirisches Vorgehen etabliert. Dadurch seid Ihr in der Lage, Meinungen, Ansichten und Hypothesen auch als solche zu erkennen und nicht als (angebliches) Fakt zu akzeptieren. Der Beweis für die Richtigkeit einer Aussage (oder Lösung) ist eine klare Metrik, die sich objektiv überprüfen lässt.

Fazit zu Group Thinking

Group Thinking ist ein gefährliches Phänomen, das durch einen starken Teamgeist oft noch gefördert wird. Meiner Meinung nach sollte jeder Scrum Master permanent davor auf der Hut sein und Gruppendynamiken im Team stets intensiv beobachten. Das gilt besonders dann, wenn ein High-Performance Team extrem erfolgreich ist. Denn gerade der eigene Erfolg ist ein starker Faktor, der Gruppendenken fördert.

Auf der anderen Seite sind die hier vorgestellten Methoden wie Advocatus Diaboli oder Liberating Structures sehr einfach umzusetzen. Wenn Dein Team solche methodischen Ansätze fest in seinen Arbeitsalltag integriert hat, sollte es zumindest gelingen, Group-Thinking-Effekte deutlich abzumildern.