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Die Teamphasen nach Tuckman sind zugegebenermaßen ein absoluter Teamwork-Klassiker. Während die ursprünglichen vier Teamphasen bereits in den 60er Jahren entwickelt wurden, ergänzte Tuckman sie Ende der 70er Jahre noch um die abschließende Phase Adjourning.(Mittlerweile existiert laut Wikipedia sogar noch eine sechste Phase: Endjourning. Da ich aber nicht herausfinden konnte, woher sie kommt und welchen Nutzen sie stiften soll, haben ich sie hier ausgeklammert.)

In diesem Artikel möchte ich vor allem näher betrachten, welche Bedeutung die einzelnen Teamphasen speziell für Scrum Teams haben. Und wie Du sie als Scrum Master, Product Owner oder Führungskraft nutzen kannst, um Deinem Team dabei zu helfen, besser kollaborativ zu arbeiten. (Auch wenn die Teamphasen nach Tuckman zugegebenermaßen eine extrem grobe Vereinfachung darstellen, sind sie meiner Ansicht nach sehr hilfreich, gute Entscheidungen zu treffen, um die gemeinsame Arbeit eines Scrum Teams produktiv zu fördern.)

Teamphasen nach Tuckman im Überblick

Nach Tuckman durchläuft jedes Team vier (beziehungsweise fünf) aufeinander folgende Phasen.

  • In der Forming-Phase finden sich einzelne Individuen zusammen und ein neues Team entsteht.

  • Nachdem das Team mit der Arbeit begonnen hat, betritt das Team die Storming-Phase, da zwangsläufig erste Konflikte auftauchen.

  • Diese Herausforderungen werden durch eine Norming-Phase, in der sich das Team auf gemeinsame Spielregeln einigt, beigelegt.

  • Gelingt das, erreicht das Team die Teamphase Performing, in der es produktiv arbeiten kann.

  • Die fünfte Phase Adjourning steht für den Abschluss der gemeinsamen Teamarbeit.

Teamphase “Forming”

Die erste Teamphase Forming ist nach Tuckman zunächst durch Unsicherheit gekennzeichnet. Man kennt sich eben noch nicht (so) gut. Und selbst wenn man sich kennt, hat man vielleicht noch nicht direkt miteinander gearbeitet. Deshalb sind die Beziehungen untereinander noch nicht voll und ganz geklärt.

In dieser Teamphase sollte es daher zunächst darum gehen, einen gemeinsamen Kern zu definieren. Das funktioniert am allerbesten durch ein gemeinsames Ziel, das dieses Team erreichen will.

Besonderheiten bei Scrum Teams

Der Scrum Guide macht sehr konkrete Angaben darüber, wie ein Scrum Team aussehen soll, damit es produktiv arbeiten kann:

  • In einem Scrum Team existieren keine Hierarchien oder Teilteams.

  • Ein Scrum Team besteht aus Entwicklern, einem Product Owner und einem Scrum Master.

  • Scrum Teams sind interdisziplinäre Teams.

  • Agile Teams in Scrum sollen außerdem klein genug sein, um flexibel arbeiten zu können.

  • Ein Scrum Team ist eine geschlossene Einheit, die sich auf ein Produktziel konzentriert.

Tipps für die Forming-Phase

In der Forming-Phase solltest Du vor allem darauf achten, dass für das neue Team ein klares Produktziel existiert. Außerdem kannst Du darüber nachdenken, wie ein neues Team sich selbstorganisiert finden kann. Und drittens solltest Du neben fachlichen Skills auch darauf achten, dass unterschiedliche Teamrollen in Deinem Team vertreten sind, um den maximalen Synergie-Effekt zu ermöglichen.

Formuliert ein gemeinsames Produktziel

Während meiner Erfahrung nach die ersten Punkte in der obigen Liste bei der Bildung eines Scrum Teams große Beachtung finden, wird das Produktziel (oder die Produktvision) fast immer vernachlässigt. Ja, es geht “irgendwie” um ein neues Produkt. Aber gerade in dieser ersten Teamphase ist es sehr hilfreich, wenn eine klare Idee davon existiert, welches Ziel man mit dem Produkt verfolgt. Oder noch besser: Jeder weiß, wann das Produktziel erreicht ist.

  • Wenn Du als Product Owner vor der Herausforderung stehst, ein gutes Produktziel beziehungsweise eine Produktvision zu formulieren, hilft Dir mein Artikel über resonante Ziele weiter.

  • Auch Evidence-Based Management kann eine große Hilfe sein, ein gemeinsames (und messbares) Ziel für ein Team zu formulieren.

  • Auch der Golden Circle von Simon Sinek soll an dieser Stelle nicht unter den Tisch fallen. Besitzt Deine Organisation ein gemeinsames WARUM, entsteht eine Purpose Driven Organization. (Was wiederum hilfreich ist, ein Produktziel für ein Team zu formulieren.)

Ermögliche selbstorganisiertes Teambuilding

Kurioserweise geht der Scrum Guide zwar ausführlich darauf ein, wie ein Scrum Team auszusehen hat, verliert aber kein Wort darüber, wie es entsteht. Ich erlebe häufig, dass diese Teams auf “höherer Managementebene” zusammengestellt werden. (Die späteren Teammitglieder erfahren dann erst später von ihrem Glück.)

Meiner Meinung nach ist das oft schon der erste Schritt in die falsche Richtung. Auf der einen Seite möchte man selbstgemanagte Teams, auf der anderen Seite gibt man ihnen aber nicht die Möglichkeit ihr Team selbst zusammenzustellen. (Schlimmstenfalls wird auch schon ein konkreter Sitzplan festgelegt, wer neben wem sitzen darf.)

Meddler's Game für selbstorganisiertes Teambuilding
  • Falls Du bereits bei der Teamzusammenstellung einen selbstorganisierten Ansatz bevorzugst, empfehle ich Dir einen Blick auf das Meddler’s Game des Management 3.0 Frameworks.

Achte auf Teamrollen

Meist liegt der Fokus bei der Zusammenstellung von Scrum Teams ausschließlich auf den fachlichen Skills, die einzelne Teammitglieder mitbringen sollen. Dagegen ist auch erstmal nichts einzuwenden. Allerdings basiert der (spätere) Erfolg viel stärker auf den im Team vorhandenen Persönlichkeiten und Rollen. Neben Menschen, die vor Ideen nur so sprühen, braucht ein gutes Team beispielsweise auch Mitglieder, die einen starken Fokus auf die Umsetzung dieser Ideen haben.

  • Zu diesem Zweck ist das Modell der Teamrollen von Meredith Belbin sehr hilfreich. (Auch wenn es in einem Scrum Team aufgrund der Größe manchmal schwierig sein kann, alle neun Teamrollen unterzubringen.)

Teamphase “Storming”

Jeder von uns hat persönliche Grenzen, die andere nicht überschreiten sollen. Das Problem ist nur: Solange wir uns nicht (gut) kennen, sind diese Grenzen für andere unsichtbar. Deshalb kommt es bei neuen Teams zwangsläufig zu Konflikten, wenn eben genau diese Grenzen überschritten werden.

In der Storming-Phase passiert laut Tuckman genau das: Dein Team beginnt zu arbeiten und die eigenen Vorlieben, Grenzen, Abneigungen etc. jedes Teammitglieds kommen zum Vorschein.

Besonderheiten bei Scrum Teams

Meiner Erfahrung nach ist das anfängliche Konfliktpotenzial in Scrum Teams besonders hoch, da sie wie oben erwähnt interdisziplinär sind. Das heißt, jede Herausforderung wird aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Große Vielfalt bringt nun einmal auch einige Probleme mit sich.

Tipps für die Storming-Phase

Um gut durch die Storming-Phase zu kommen, benötigt ein Scrum Team besonders gut ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten.

Konflikte als Lernsituation verstehen

Es gibt jede Menge Ratgeber, Internetseiten (und sogar Schulungen), die sich mit den Themen Konflikte ansprechen oder Feedback geben beschäftigen. Deshalb möchte ich das an dieser Stelle gar nicht weiter ausbreiten. Worüber aber viel schwerer Informationen zu finden sind, ist das Annehmen von Feedback. Beziehungsweise die Fähigkeit schwierige Gespräche zu führen.

Gerade als Scrum Master benötigst Du in dieser Teamphase ein gutes Verständnis davon, was genau die Konflikte innerhalb Deines Teams verursacht.

  • Das hilfreichste Buch zum Thema Konfliktmanagement, das ich kenne, ist Difficult Conversations von Douglas Stone und Sheila Heen.

Teamphase “Norming”

Nachdem in der Storming-Phase jedem Mitglied im Team klar wurde, dass gutes Teamwork so nicht funktionieren wird, entsteht das Bedürfnis nach gemeinsamen Regeln. In der Norming-Phase gibt sich das Team laut Tuckman daher eigene Spielregeln, an die es sich bei der gemeinsamen Arbeit halten möchte.

Besonderheiten bei Scrum Teams

Scrum hat die Teamphase Norming bereits per Definition als eigenes Scrum Event implementiert. Die Rede ist natürlich von der Sprint Retrospektive, in der sich jedes Scrum Team regelmäßig selbst auf den Prüfstand stellt und Verbesserungen in der Zusammenarbeit beschließt. Wenn Du so möchtest, hat jedes Scrum Team einen regelmäßig wiederkehrenden Norming-Event.

Tipps für die Norming-Phase

Neben der Retrospektive solltest Du meiner Meinung nach auch die Definition of Done als normatives Element eines Scrum Teams betrachten, das großen Einfluss auf die Zusammenarbeit hat.

Definition of Done

Auf der rein methodischen beziehungsweise technischen Ebene stellt die Definition of Done ein zentrales Instrument für Scrum Teams dar, sich auf einen gemeinsamen Qualitätsstandard zu einigen. Damit ist sie ein hervorragendes Werkzeug, um Konflikte aufzulösen, die sich an genau diesen Themen entzünden.

Retrospektiven

Der Scrum Event Retrospektive ist extrem nützlich für jedes Scrum Team, um sich selbst Normen zu geben, wie es gemeinsam arbeiten möchte. Auch hierzu gibt es die verschiedensten Quellen im Internet und anderswo, wie sich gute Retrospektiven durchführen lassen.

Der wichtigste Tipp von meiner Seite ist an dieser Stelle lediglich:

Lasst die Retrospektive nicht ausfallen!

RACI-Matrix

Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme sind wichtige Elemente für erfolgreiche Teamarbeit. Hilfreich kann hier auch die sogenannte RACI-Matrix sein, weil sie Euch dabei hilft, gegenseitige Erwartungshaltungen sichtbar und diskutierbar zu machen.

Teamphase “Performing”

In der Performing-Phase hat Dein Team ein hohes Leistungsniveau erreicht und eine stabile Teamkultur etabliert. Bestenfalls gehört Kollaboration und Orientierung an einem gemeinsamen Ziel zum Arbeitsalltag. Alle Teammitglieder respektieren sich gegenseitig und die Unterschiedlichkeit der einzelnen Teammitglieder führt zu Synergie-Effekten, die aus dem Ganzen mehr machen als seine einzelnen Teile.

Besonderheiten bei Scrum Teams

Für die Arbeit mit Scrum kommen an dieser Stelle ganz besonders die Scrum Werte Focus, Respect, Openness, Courage & Commitment zum Tragen. Im Grunde spiegeln sie all das wieder, was ein Team benötigt, um gut miteinander arbeiten zu können.

Tipps für die Performing-Phase

Als Agile Coach & Scrum Master bin ich natürlich ein großer Fan von wirklich herausragenden Teams. Ich bin der Meinung, dass auch die besten Teams immer noch ein klein wenig besser werden können. Aber wie lassen sich die Voraussetzungen für wirklich erfolgreiche Teams schaffen?

Der erste Schritt ist es, Teams nicht ständig “umzubauen”. Sorge also dafür, dass Deine Teams die hier vorgestellten Teamphasen nicht permanent erneut durchlaufen müssen!

Mit den 7 Schlüsseln für Team Flow schaffst Du beste Voraussetzungen für herausragende Leistungen. Als Scrum Master solltest Du außerdem einen konstanten Blick auf die Psychologische Sicherheit innerhalb Deines Teams haben.

Sorge für langlebige Teams

Langlebige Teams helfen dabei, die hier beschriebenen Teamphasen nach Tuckman nicht permanent erneut zu durchlaufen. Wenn Du performante Teams etablieren möchtest, sorgt Langlebigkeit dafür, dass die Phasen Forming, Storming und Norming möglichst selten bis gar nicht durchlaufen werden müssen.

Natürlich lassen sich die drei vorangehenden Phasen niemals vollkommen vermeiden. Teammitglieder entscheiden sich für neue Arbeitgeber oder verlassen das Team. Und frei gewordene Stelle werden in der Regel neu besetzt. (Selbst dann, wenn diese Stellen nicht nachbesetzt werden, befindet sich das “restliche Team” wieder in einer Forming-Phase.)

In der Praxis sind die Teamphasen Forming, Storming und Norming jedoch für alle Beteiligten deutlich weniger anspruchsvoll, wenn zu einem existierenden Team ein einzelnes, neues Teammitglied hinzukommt, als wenn aus acht Individuen ein neues Team geschmiedet werden soll.

Schaffe Voraussetzungen für Team Flow

Der Kreativitätsforscher Olaf-Axel Burow hat in seiner Forschung nachgewiesen, dass 7 grundlegende Prinzipien den sogenannten Team Flow ermöglichen können. Team Flow erhöht die Innovations- und Leistungsfähigkeit eines (Scrum) Teams und sorgt für die Entstehung Kreativer Felder.

  • In meinem Artikel über Team Flow erfährst Du mehr über die Entstehung von Kreativen Feldern.

Fördere Psychologische Sicherheit

Psychologische Sicherheit ist vielleicht der wichtigste Aspekt für erfolgreiches Teamwork. Falls Du das Modell von Amy Edmondson noch nicht kennst, habe ich hier ein kurzes Erklärvideo für Dich eingebunden.

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Teamphase “Adjourning”

Kein Team bleibt für immer und ewig zusammen. Deshalb ergänzte Tuckman sein Teamphasen-Modell Ende der 70er Jahre um die sogenannte Adjourning-Phase. In dieser Phase geht es in erster Linie darum, einen passenden Abschluss für die gemeinsame Zeit zu ermöglichen. Nur so vermeidest Du, dass sich Dein Team einfach “irgendwie auflöst”, während alle Kollegen bereits in neuen Projekten stecken.

Besonderheiten bei Scrum Teams

Scrum Teams sind im Gegensatz zu echten Projektteams sehr langlebig. Gerade das führt meiner Erfahrung nach aber dazu, dass die Adjourning-Phase bei ihnen häufig ignoriert oder übergangen wird, falls ein mit Scrum entwickeltes Produkt doch eingestellt wird. Vielleicht liegt es daran, dass bei einem Projekt das Ende bereits mit “eingeplant” wird und man selbstverständlich abschließend angemessen feiern möchte? Bei Produkten plant (logischerweise) niemand bereits das Ende mit ein. (Man möchte ja auch möglichst lange etwas von seinem Produkt haben.)

Tipps für die Adjourning-Phase

Ich lege Dir ans Herz, Scrum Teams nicht einfach aufzulösen und die Kollegen unmittelbar in andere Teams zu stecken, sondern auch das Ende eines Scrum Teams gebührend zu feiern. Hier gibt es natürlich unendlich viele Möglichkeiten, die ich niemals alle hier aufzählen könnte. (Aber Dir und Deinem Team fällt sicherlich etwas Passendes ein!) Eine sehr schöne Methode für eine finale Retrospektive mit Deinem Scrum Team möchte ich aber dennoch hier erwähnen: die Heldenreise.

Unternehmt eine Heldenreise

Heldenreise - Retrospektive

Bei der Heldenreise wird die zurückliegende, gemeinsame Teamarbeit in einer abschließenden Retrospektive als spannende Geschichte voller Gefahren, Herausforderungen und Erlebnisse erzählt.

Welche Schätze wurden gefunden?

Welche Rückschläge gab es für jeden einzelnen und für das gesamte Team?

Fazit

Wie Du siehst, können die Teamphasen von Tuckman sehr nützlich sein, die passenden (methodischen) Ansätze zu finden, um ein Scrum Team auf das nächste Level (bzw. in die nächste Teamphase) zu bringen.

Jetzt interessiert mich natürlich auch Deine Meinung! Nutzt Du das Teamphasen-Modell selbst auch? Oder hast Du vielleicht noch Ideen, an welche Stelle ich noch etwas ergänzen sollte? Dann schreib mir einen Kommentar unten auf dieser Seite! Ich freu mich auf Dein Feedback.