Die Sprint Retrospektive ist der letzte Scrum Event eines Sprints und schließt diesen ab. Wie das Sprint Planning, das Daily Scrum und die Sprint Review ist es ein Meeting, das Überprüfung & Anpassung (Inspection & Adaption) ermöglichen soll.
Anders als in den anderen Scrum Events geht es in der Retrospektive jedoch nicht um das Produkt bzw. Increment, sondern um das Scrum Team selbst.
Sinn & Zweck einer Sprint Retrospektive
Die Sprint Retrospektive dient dazu, die kollaborative Zusammenarbeit eines Scrum Teams kontinuierlich zu verbessern.
Wie alle anderen Elemente von Scrum basiert auch sie auf empirischer Prozesssteuerung, weil sie davon ausgeht, dass ein Scrum Team aus der Vergangenheit lernen kann, was es in Zukunft (noch) besser machen kann. (Daher auch ihr Name, denn Retrospektive bedeutet so viel wie “Blick in die Vergangenheit”.)
Im Fokus einer Sprint Retrospektive steht der letzte Sprint hinsichtlich Individuen, Interaktionen, Prozessen & Tools sowie die Definition of Done.
Individuen
Auch wenn Scrum lediglich das agile Team als kleinste Einheit kennt, geht es in einer Sprint Retrospektive natürlich auch darum, die individuelle Rolle eines jeden Teammitglieds für sich selbst und alle anderen zu klären. Hier geht es also um Fragen wie:
Interaktionen
Darüber hinaus basiert Teamarbeit natürlich auf den Interaktionen der einzelnen Individuen untereinander.
Prozesse
Hier geht es um die Organisation von Arbeitsabläufen und wie gut (oder schlecht) sie funktioniert haben.
Tools
Welche Werkzeuge und Tools benötigt ein Scrum Team zur Erledigung seiner Arbeit?
Definition of Done
Die Definition of Done (oder kurz DoD) soll sicherstellen, dass ein Scrum Team zum Ende eines Sprints ein nutzbares Produkt-Update zur Verfügung stellt. Die Sprint Retrospektive ist ein formaler Ort, an dem ein Scrum Team darüber sprechen kann, wie es seine DoD verändern kann, um die Qualität des Produktes noch weiter zu verbessern.
Vorteile & Nutzen von Sprint Retrospektiven
Genau genommen haben Ken Schwaber und Jeff Sutherland mit der Sprint Retrospektive nichts Neues erfunden. Schon immer hat man sich darüber Gedanken gemacht, wie ein Team noch effektiver zusammenarbeiten kann. (Denk beispielsweise nur an die bekannten Lessons Learned aus dem klassischen Projektmanagement.)
Allerdings gibt es im Gegensatz zu anderen Verbesserungsmethoden einige wichtige Vorteile.
Verbesserung während der Zusammenarbeit
Wie bei Lessons Learned ist auch bei der Sprint Retrospektive der Grundgedanke, dass ein Scrum Team die kollaborative Zusammenarbeit verbessert. Allerdings geschieht das bei Scrum nicht in einem großen Hauruck-Meeting am Ende eines Prozesses (bzw. Projektes), sondern genauso iterativ und in regelmäßigen (kurzen) Zyklen wie bei der Weiterentwicklung des Produktes.
Der große Vorteil daran ist, dass ein Scrum Team direkt und unmittelbar von den Verbesserungen seiner Sprint Retrospektive profitieren kann.
Verankerung im Sprint
Die Sprint Retrospektive ist (wie alle anderen Scrum Events) ein fester Bestandteil eines jeden Sprints. Genauso wie beim Spielzug eines Brettspiels wird jeder Sprint in der immer gleichen Abfolge durchgeführt. Dadurch ist die kontinuierliche Verbesserung eines Scrum Teams in der täglichen Zusammenarbeit fest verankert.
Die Sprint Retrospektive ist damit ein unumstößlicher Bestandteil und wird nicht übersprungen oder ausgelassen. (Wie das oft bei Abschlussmeetings der Fall ist, wo jeder Beteiligte schon wieder im nächsten Projekt steckt und nicht mehr darüber nachdenken möchte, was vor drei Monaten alles falsch gelaufen ist.)
Direkter Bezug zur aktuellen Arbeit
Projekte unterscheiden sich in der Regel sehr stark voneinander. Man könnte auch sagen, dass kein Projekt dem anderen gleicht. Da stellt sich die Frage, wie gut Erkenntnisse aus einem abgeschlossenen Projekt auf das nächste Projekt übertragbar sind.
Sprint Retrospektiven haben deshalb den Vorteil, dass die dort beschlossenen Veränderungen sich auf den Kontext des Projektes beziehen, das aktuell durchgeführt wird. Diese Maßnahmen für die aktuelle Arbeit müssen jedoch nicht zwangsläufig auch für das nächste Projekt gelten. (Mitunter könnten sie sogar einen negativen Effekt erzeugen, obwohl sie im vorangegangenen Projekt einen positiven Einfluss hatten.)
Strategie der kleine Schritte
Mit der Verankerung der Sprint Retrospektive im Sprint geht noch ein vierter Vorteil einher. Denn dadurch, dass ein Sprint maximal einen Monat lang ist, sind die Probleme und Herausforderungen, die dort besprochen werden (müssen), nicht so riesig und umfangreich wie bei einem Zeitraum von 6 Monaten oder mehr.
Dadurch kann ein Scrum Team eine Strategie der kleinen Schritte verfolgen. Denn auch wenn nicht immer der große Wurf gelingt, so kann ein Scrum Team stets den ersten kleinen Schritt einer größeren Veränderung machen und am Ende des nächsten Sprints überlegen, wie es den zweiten Schritt machen kann. (Oder den ersten Schritt verwerfen, weil es gemerkt hat, dass es die falsche Richtung eingeschlagen hat.)
Damit werden natürlich auch die mentalen Hürden bei der Umsetzung kleiner. Denn es ist leichter, viele kleine Veränderung nacheinander umzusetzen, als eine große Veränderungen auf einmal vorzunehmen.
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sprint Retrospektive
Damit Eure Sprint Retrospektive ihren Zweck erfüllen kann, sind einige Grundvoraussetzungen und gemeinsam vereinbarte Spielregeln notwendig.
Psychologische Sicherheit
Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Sprint Retrospektive ist Psychologische Sicherheit. Dieses Konzept geht auf Amy Edmondson zurück und ist folgendermaßen definiert:
Psychologische Sicherheit ist die gemeinsam geteilte Überzeugung, dass die Arbeitsumgebung sicher ist, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen.
Jede Retrospektive lebt davon, dass alle Teammitglieder sich dazu ermutigt fühlen, offen und ehrlich über die Herausforderungen des letzten Sprints zu sprechen oder sogar potenzielle zwischenmenschliche Probleme anzusprechen. Deshalb ist Psychologische Sicherheit sozusagen das Fundament dieses wichtigen Scrum Events.
Es ist Deine Aufgabe als Scrum Master dafür zu sorgen, dass Deine Teamkollegen das Konzept der Psychologischen Sicherheit kennen und Du Bedingungen förderst, damit sie entstehen kann.
Las-Vegas-Regel
Eine weit verbreitete Methode, um Offenheit und Psychologische Sicherheit zu fördern, ist die Las-Vegas-Regel. Sie bezieht sich scherzhaft auf die ausschweifenden Junggesellen-Abschiede, die in der Wüstenstadt in Nevada stattfinden, und besagt:
Was immer in Vegas geschieht, bleibt auch in Vegas.
So weiß jedes Teammitglied, dass nichts von dem, was in der Sprint Retrospektive besprochen wird, später zu anderen nach außen dringt. (Allerdings ist die Las-Vegas-Regel auch kein Freifahrtschein für Lästern, Rumbrüllen oder andere schlechte Manieren.)
Phasen einer Sprint Retrospektive
Etabliert hat sich jedoch eine Struktur mit fünf aufeinanderfolgenden Phasen, die Esther Derby and Diana Larsen in ihrem (sehr lesenswerten) Buch Agile Retrospectives vorgestellt haben:
Check-in
Mit dem Check-in vermeidest Du einen “Kaltstart” in die Retrospektive. Der Einstieg dient somit als Warm-up für alle Teilnehmer und hilft Euch, in die passende Stimmung zu kommen.
Hier rechts siehst Du einen möglichen Check-in in die Sprint Retrospektive mit der Leitfrage: “Wenn der letzte Sprint ein Film gewesen wäre…”
Themen sammeln
Nach Eurem Check-in sammelt Ihr die Themen aus dem letzten Sprint, die gut bzw. schlecht gelaufen sind. Diese werden dabei (noch) nicht weiter vertieft, sondern lediglich kurz von jedem Teilnehmer, der sie eingebracht, beschrieben bzw. vorgestellt.
Falls besonders viele Themen zusammenkommen, könnt Ihr sie auch bereits clustern und über ein kurzes Dot-Voting entscheiden, welche der angesprochenen Themen Ihr in der nächsten Phase weiter vertiefen möchtet.
Themen könnt Ihr beispielsweise mit Hilfe der 4L-Methode sammeln, die Du hier rechts sehen kannst.
Einsichten gewinnen
In der dritten Phase Eurer Sprint Retrospektive geht es darum, die Gründe für angesprochene Themen zu ermitteln.
Auch hier gibt es wieder viele methodische Möglichkeiten, um Einsichten zu generieren, beispielsweise die Methode Back to the Future.
Entscheidungen treffen
Auf Basis Eurer gewonnenen Erkenntnisse beschließt Ihr in der vierten Phase Eurer Retrospektive, welche Maßnahmen Ihr (möglichst) ab dem nächsten Sprint umsetzen möchtet, um die Ursachen für aufgetretene Probleme zu vermeiden oder besonders gut Gelungenes noch weiter zu verbessern. Das muss nicht immer der “große Wurf” sein, sondern kann auch ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung sein.
Es ist auch denkbar, dass Ihr Euch bei einer bestimmten Maßnahme nicht sicher seid, ob sie wirklich den erwünschten Effekt hat. In diesem Fall solltet Ihr sie einfach als Experiment betrachten und in der nächsten Sprint Retrospektive schauen, ob sie geholfen hat oder nicht.
Check-out
Genauso wenig wie Ihr eine Sprint Retrospektive nicht ohne einen geeigneten Einstieg beginnen solltet, solltet Ihr sie nicht ohne einen passenden Check-out beenden.
Das kann ein kleiner Rückblick auf die Retrospektive selbst sein oder manchmal auch nur eine kleine Lobrunde, in der man sich bei seinen Teammitgliedern bedankt.
Hier rechts siehst Du eine sogenannte Kudo-Karte, mit der sich jedes Teammitglied zum Ende der Sprint Retrospektive bei einem Kollegen für etwas bedanken kann.
Methoden für Deine erste Sprint Retrospektive
Eine häufig gestellte Frage von frischgebackenen Scrum Mastern ist die nach Methoden, mit denen sich eine Retrospektive ansprechend und motivierend gestalten lässt. Und grundsätzlich stimmt es auch, dass es hilfreich ist, einen umfangreichen Methodenkoffer zu haben. Jedoch solltest Du niemals eine Methode um der Methode willen einsetzen. Oder eine bestimmte Methoden bei Deinem Team “durchdrücken”, weil Du als Scrum Master der Meinung bist, dass diese Methode “jetzt total wichtig” ist.
Methoden sollen Dich und Dein Scrum Team dabei unterstützen, in Eurer Sprint Retrospektive zu einem guten Ergebnis zu kommen. Sie dürfen kein Zwangskorsett sein, das Euch in vorbestimmte Bahnen lenkt.
Solange es Euch also gelingt, Euch auf konkrete Maßnahmen für Euren nächsten Sprint zu einigen, solltet Ihr auf bunte Methoden-Karusselle verzichten.
Fazit zur Sprint Retrospektive
Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Artikel dabei helfen, den Sinn und Zweck von Retrospektiven besser zu verstehen. Richtig angewendet sind sie das vielleicht mächtigste Werkzeug, das Dir als Scrum Master zu Verfügung steht, um die Leistungsfähigkeit Deines Scrum Teams kontinuierlich zu verbessen.
Solltest Du noch offene Fragen, Anregungen oder Kritik zu diesem Artikel haben, schreib mir wie immer gerne einen Kommentar hier unten auf der Seite. Ich freu mich über eine Rückmeldung von Dir!