Neben den vielen Vorteilen bringt Scrum auch einige Herausforderungen mit sich, die viele als Nachteile des Frameworks empfinden. Deshalb möchte ich in diesem Beitrag einige übliche “Vorwürfe” einmal genauer unter die Lupe nehmen und schauen, ob es wirklich echte Nachteile sind oder ob das Framework nur (noch) nicht richtig verstanden wurde.
Angebliche Nachteile von Scrum
Zunächst möchte ich auf einige Punkte eingehen, die immer wieder als Nachteil von Scrum angegeben werden, aber (meiner Meinung nach) auf Missverständnisse zurückzuführen sind.
Geringe Planbarkeit
Einige Menschen werfen Scrum vor, dass das Framework die Planbarkeit eines Projektes oder anderen Vorhabens mindere. Beispielsweise, dass man durch Scrum keinen präzisen Gesamtüberblick über ein Projekt habe. Im Grunde ist dieser Vorwurf jedoch ein Trugschluss. Denn wenn wir uns wirklich einer komplexen Herausforderung gegenübersehen, dann ist eine vorherige Planbarkeit und Analyse schlichtweg nicht möglich.
Eine vollumfängliche Analyse und ein ausgefeilter Plan sind in solchen Kontexten schlichtweg eine Illusion. Ein Fokus auf kurzfristige Planung ist also kein Nachteil von Scrum, sondern vielmehr ein echter Vorteil, weil dadurch unnötige Verschwendung reduziert wird.
Hoher Kommunikationsaufwand
Ein zweiter (angeblicher) Nachteil, der Scrum oft vorgeworfen wird, ist der hohe Kommunikationsaufwand, den das Framework verursache. Zunächst einmal ist dieser gar nicht so groß, wie manche meinen. Denn die Scrum Events sind alle mit einer Timebox versehen, sodass sie zeitlich nicht ausufern. Wenn wir den Zeitaufwand für die Scrum Events insgesamt zusammenrechnen, macht dieser gerade einmal 10 Prozent eines Sprints aus.
Auch hier müssen wir berücksichtigen, dass Komplexität dazu führt, dass fortlaufend neue Informationen auftauchen oder dass wir Neues lernen. All das sind Dinge, die ein Scrum Team (und eine Organisation) irgendwie verarbeiten muss. Denn wenn diese neuen Informationen nicht verarbeitet werden, bringt das immer ein großes Risiko mit sich, die falschen Entscheidungen zu treffen. (Oder gar keine, weil die Information nicht bekannt ist.)
Meine Gegenfrage lautet daher: Was passiert denn, wenn wir nicht früh und oft miteinander kommunizieren?
Echte Nachteile von Scrum
Kommen wir nun zu den echten Nachteilen von Scrum, die Du kennen solltest, falls Du Scrum in Deiner Organisation einführen möchtest.
Scrum löst keine Probleme
Scrum ist ein Framework, das Deiner Organisation dabei hilft, Probleme sichtbar zu machen. Für sich genommen macht es deshalb erst einmal gar nichts besser oder schneller. Scrum gibt Dir auch keine konkreten Methoden oder Handlungsanweisungen, was Du tun kannst, um eine Situation zu verbessern. Es liegt deshalb allein an Dir, diese Probleme zu lösen.
Diesen Punkt kannst Du tatsächlich als Nachteil von Scrum betrachten, wenn Du der Meinung bist, dass Dir Scrum erst einmal nicht dabei hilft, Deine Produktentwicklung zu verbessern. Und aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, dass es manchmal ganz schön frustrierend sein kann, wenn man immer wieder darauf hingewiesen wird, dass etwas nicht funktioniert, aber keine Lösungsvorschläge erhält.
Scrum ist ein wenig wie die böse Schwiegermutter. Es zeigt Dir, wo es dreckig ist, putzt aber selbst nicht.
Scrum kann nicht isoliert wirken
Ein zweiter Nachteil von Scrum ist der, dass es nicht isoliert wirken kann. Natürlich lassen sich viele Dinge und Probleme direkt im Scrum Team selbst verbessern. Allerdings warten die größten Probleme auf dem Weg zur Agilität erfahrungsgemäß in anderen Bereichen (D)einer Organisation. Das führt in der Praxis oft zu Konflikten, weil das Management eines Unternehmens meint, dass es in einem Team oder einer Abteilung Scrum einführen könne, ohne dass man sonst etwas in der Organisation ändern müsse.
Das Gegenteil ist der Fall. Damit Scrum seine volle Wirkung entfalten kann, sind eigentlich immer unternehmensweite Umstrukturierungen notwendig. Beispielsweise in der Art und Weise, wie Projekte eingeplant werden. Mitunter betrifft es auch die Art, wie Aufgaben an die Produktentwicklung weitergegeben werden. Oder wie das Produkt zum Kunden gebracht wird.
Erst dann, wenn Deine Organisation bereit ist, sich diesen Fragen zu stellen, wird es in der Lage sein, den vollen Nutzen aus Scrum zu erzielen.
Scrum erfordert eine neue Art der Führung
Darüber hinaus erfordert die Selbstorganisation eines Scrum Teams von Führungskräften eine vollkommen andere Art der Führung. Denn Scrum Teams können nur dann autonom arbeiten, wenn sich das Management von Command & Control verabschiedet und sich agiler Führung durch Ziele verschreibt. Die Rolle der Führung verschiebt sich also vom Organisieren, Anweisen und Delegieren hin zu einer unterstützenden Rolle.
Für viele Organisationen stellt auch diese Anforderung von Scrum einen echten Nachteil dar, weil viele Führungskräfte oft nicht bereit für den notwendigen Wandel hin zu agiler Führung sind.

Große Projekte mit mehreren Teams
Scrum ist für ein einziges, kleines Team konzipiert. Auf die Frage, wie ein großes Projekt umgesetzt werden kann, für das man Dutzende von Menschen benötigt, gibt Scrum keine Antwort. Schlimmer noch: Erhöht man die Anzahl der Teammitglieder in agilen Teams, funktioniert das gesamte Framework schnell nicht mehr.
Fazit zu den Nachteilen von Scrum
Oft entsteht auch der Eindruck, dass Kanban im Vergleich zu Scrum die sinnvollere oder einfachere Alternative wäre. Aber die Aufgabe, Veränderungen im Aufbau einer Organisation vorzunehmen bleibt die gleich – unabhängig davon, ob Du Dich für Scrum oder Kanban entscheidest.
Vielleicht verbirgt sich bei der einen oder anderen Organisation auch lediglich nur eine Art Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass-Haltung (?)