4.8 29 Votes
Artikel-Rating

Kollaboration – oder kollaboratives Arbeiten – ist neben Selbstorganisation ein elementares Grundprinzip agilen Arbeitens. Und es ist deshalb auch sicherlich kein Zufall, dass das Wort collaboration insgesamt sechsmal im (englischsprachigen) Scrum Guide explizit genannt wird. Denn Kollaboration sorgt dafür, aus einzelnen Individuen ein Kollektiv zu formen, das eine gemeinsame Vision verfolgt. (Weshalb kollaborativ arbeitende Teams auch mehr sind als simple Arbeitsgemeinschaften.)

In diesem Beitrag erfährst Du mehr über die Gründe und Vorteile von Kollaboration und wie sie sich von Kooperation unterscheidet. Zum Schluss gebe ich Dir wie immer noch einige Tipps und Ideen mit auf den Weg, die Dir dabei helfen sollen, Kollaboration in Deinen Teams zu fördern.

Die Gründe für Kollaboration

Bevor ich darauf eingehe, was kollaboratives Arbeiten genau bedeutet, möchte ich zunächst die Gründe für diese besondere Art zu arbeiten erläutern. Denn die Frage, warum die bisherige Art zu arbeiten, plötzlich „falsch“ sein soll, ist ja durchaus berechtigt.

Es gibt zwei wichtige Gründe, die Kollaboration für agil arbeitende Teams notwendig machen. Beide sind Teil dessen, was unter dem Begriff VUCA-Welt bekannt ist. Der erste Grund ist die Komplexität der Herausforderungen, denen sich nahezu alle Unternehmen und Organisationen gegenübersehen. Der zweite Grund ist die oft daraus resultierende Ungewissheit darüber, was eine sinnvolle Lösung für diese Herausforderungen sein könnte.

Komplexe Herausforderungen

Der erste Grund, aus dem sich in den letzten 20 Jahren agile Methoden und Frameworks wie beispielsweise Scrum herausgebildet haben, ist die hohe Komplexität von Aufgaben und Herausforderungen, denen sich Organisationen gegenübersehen.

Mittlerweile sind die allermeisten Themenstellungen derart umfangreich und mit Wechselwirkungen behaftet, dass ein einzelner Mensch sie unmöglich überblicken oder gar bewerten kann.

Die agile Antwort auf komplexe Herausforderungen sind deshalb interdisziplinäre Teams, in denen jedes Teammitglied unterschiedliche Perspektiven und Skills einbringt.

Komplexität & komplexe Systeme

Perspektivenvielfalt alleine ist jedoch noch keine ausreichende Lösung.

Kollaboration ist die geeignetste Arbeitsform für interdisziplinäre Teams, um die entstehende Perspektivenvielfalt zu einem Ganzen zu verschmelzen.

Ungewissheit

Der zweite wichtige Grund für kollaboratives Arbeiten ist Ungewissheit. Denn Ungewissheit führt dazu, dass wir das notwendige Wissen, um eine komplexe Herausforderung zu meistern, nicht bereits besitzen, sondern erst erzeugen müssen.

Der Kreativitätsforscher Stefan Bornemann spricht hier beispielsweise von Wissensgenerierung im Gegensatz zu Wissensteilung.

Wenn Du so möchtest, fördert Kollaboration den gemeinsamen Prozess der Wissensgenerierung durch einen intensiven Austausch aller Teammitglieder untereinander.

Sie sorgt also dafür, dass neue Erkenntnisse schnell und direkt im Team verteilt werden, damit gemeinsam die beste Entscheidung getroffen werden kann.

Ungewissheit

Was bedeutet Kollaboration?

Nachdem Du nun weißt, auf welche Probleme kollaboratives Arbeiten eine Antwort geben soll, möchte ich Dir nun kurz darstellen, was sich hinter dem Begriff genau verbirgt.

Herkunft des Begriffes Kollaboration

Der Begriff Kollaboration kommt aus dem Lateinischen: „Co“ bedeutet „mit“ und „laborare“ heißt „arbeiten“. Wörtlich bedeutet der Begriff also zunächst einmal nicht mehr als „Zusammenarbeit“. Ursprünglich wurde er vor allem im militärischen Kontext genutzt. Kollaborateure waren Verräter, die mit dem Feind zusammengearbeitet haben.

Kooperation vs. Kollaboration

Weil es jedoch viele verschiedene Formen der Zusammenarbeit gibt, bringt uns die Herkunft des Begriffes nicht so wirklich viel weiter.

Hilfreicher ist es deshalb, die Arbeitsformen Kooperation und Kollaboration miteinander zu vergleichen.

Kurz gesagt basiert Kooperation vor allem auf dem Prinzip der Arbeitsteilung, während hingegen Kollaboration ein ko-kreativer Prozess der Wissensgenerierung ist.

Kooperation

Kooperation entsteht dann, wenn Arbeit in unterschiedliche Teilaspekte oder Unteraufgaben aufgesplittet wird, die anschließend individuell bearbeitet werden. Während der Arbeit selbst müssen sich die Mitglieder eines Teams deshalb nur gelegentlich austauschen oder abstimmen.

Die individuellen Ergebnisse werden erst am Ende zusammengeführt, sodass sich erst zum Schluss ein Ganzes ergibt.

Im Gegensatz zu Kollaboration basiert Kooperation auf Arbeitsteilung. Synergieeffekte sind zwar prinzipiell möglich, aber kein notwendiges Kriterium von Kooperation.

Kollaboration

Kollaboration entsteht durch selbstorganisierte bzw. selbstgesteuerte, interaktive Austauschprozesse, weil gleichzeitig und gemeinsam an einem Thema gearbeitet wird. Im Gegensatz zu Kooperation fußt Kollaboration deshalb auf einer sehr geringen (oder gar keiner) Arbeitsteilung.

Wenn Teammitglieder kollaborativ arbeiten, müssen Ergebnisse auch nicht abschließend zusammengeführt werden, da Kollaboration ein ko-konstruktiver Prozess ist.

Synergieeffekte, die durch diesen ko-kreativen Prozess entstehen, sind deshalb ein fester Bestandteil von Kollaboration.

Wann ist Kollaboration notwendig und wann reicht Kooperation?

Genauso wie es falsch ist, zu behaupten, dass agiles Arbeiten generell „besser“ als klassisches Projektmanagement ist, können wir nicht sagen, dass Kollaboration immer „besser“ als Kooperation ist. Welche Arbeitsform sinnvoller ist, hängt von einigen Faktoren ab, auf die ich kurz eingehen möchte.

Wissensteilung vs. Wissensgenerierung

Falls wir für eine Herausforderung oder Aufgabe bereits das notwendige Wissen und Know-how besitzen, ist es durchaus sinnvoll, dass die Erledigung durch einen Spezialisten erfolgt.

In diesem Fall ergibt Kooperation durch Arbeits- bzw. Wissensteilung also durchaus Sinn.

Anders verhält es sich hingegen, wenn wir vor Herausforderungen stehen, bei denen wir uns das notwendige Know-how erst erarbeiten müssen (Wissensgenerierung).

Diese Art von Herausforderung macht eine fortlaufende Adaption unserer Herangehensweise notwendig und deshalb auch einen permanenten, interaktiven Austauschprozess aller Beteiligten durch Kollaboration.

Kollaboration als Weg zur Wissensgenerierung

Nachteile durch Kooperation

Auch wenn Kooperation in bestimmten Situationen durchaus Sinn ergeben kann, bringt sie langfristig einige Nachteile mit sich.

Abhängigkeiten und Flaschenhälse durch Spezialisten

Wenn immer die gleichen Teammitglieder Aufgaben aus bestimmten Wissensbereichen bearbeiten, fördern wir ihre Entwicklung zu echten Spezialisten. Langfristig sind sie dann jedoch irgendwann die einzigen, die sich überhaut mit einem Thema auskennen. Ihr Know-how wird damit zu einer Wissensinsel.

Durch Kooperation entsteht deshalb langfristig immer der Nachteil, dass Teammitglieder zu echten Flaschenhälsen werden und Abhängigkeiten entstehen.

Kollaboration hingegen verursacht diesen Nachteil nicht, weil sie dafür sorgt, dass Know-how zu einem Themenbereich möglichst weit in einem Team verbreitet ist.

  • Mehr darüber, wie Du dem Problem der Wissensinseln begegnen kannst, erfährst Du auch in meinem Artikel über T-Shaped Skills.

Vorteile von Kollaboration

Der größte Vorteil von Kollaboration ist der oben erwähnte Synergieeffekt, der aus dem Ganzen mehr macht als seine einzelnen Teile. Der Kreativitätsforscher Prof. Dr. Olax-Axel Burow nennt diesen Effekt auch Team Flow, der durch kreative Felder entsteht.

Team Flow & kreative Felder

Nach Burow entstehen kreative Felder immer dann, wenn Teams eine gemeinsame (Produkt-)Vision verfolgen und auf Augenhöhe kommunizieren (Dialog).

Sie unterscheiden sich von durchschnittlichen Teams auch dadurch, dass sie sehr unterschiedliche Fähigkeiten besitzen (Vielfalt).

Gleichzeitig halten sie die dadurch entstehende Perspektivenvielfalt aus und finden Wege, unterschiedliche Standpunkte zu integrieren (Personenzentrierung).

Jedes Teammitglied trägt außerdem einen wichtigen Teil zum Erfolg des Teams bei (Partizipation).

Deshalb zeichnen sich nach Burow herausragende Teams auch durch eine gewisse Langlebigkeit aus (Nachhaltigkeit) aus und können dadurch das Ganze mehr werden lassen als seine einzelnen Teile (Synergieprozesse).

  • Vision

  • Dialog

  • Vielfalt

  • Personenzentrierung

  • Partizipation

  • Nachhaltigkeit

  • Synergieprozesse

Wenn Du diese 7 Aspekte für kreative Felder bzw. Team Flow genauer betrachtest, kannst Du in ihnen viele Grundelemente agil arbeitender Teams wiederentdecken.

  • Beispielsweise verfolgt ein Scrum Team ein gemeinsames Produktziel. (Was einer Vision zumindest sehr nahe kommt.)

  • Außerdem arbeiten Scrum Teams interdisziplinär. (Vielfalt & Personenzentrierung)

  • Auch kollaboratives Arbeiten findet sich in den beiden Aspekten Partizipation und Synergieprozesse wieder.

Wie lässt sich Kollaboration fördern?

Wenn Du Kollaboration in den Teams Deiner Organisation fördern möchtest, habe ich Dir hier noch einige Tipps zusammengestellt, wie Du ihre Entstehung fördern kannst.
0
Welche weiteren Vorteile sollte ich an dieser Stelle noch erwähnen? Habe ich etwas Wichtiges vergessen?x
Nicht alles davon wird immer sofort umsetzbar sein, aber das ist auch gar nicht notwendig. Beginnt einfach dort, wo Ihr gerade steht, experimentiert mit den ersten Ideen und Ansätzen und prüft, ob sie die gewünschte Wirkung erzielen.

Vision & Purpose

Eine gemeinsam geteilte Vision ist meinem Verständnis nach der wichtigste Aspekt, um kollaboratives Teamwork zu ermöglichen. Sie ist der Nexus, an dem sich jedes Individuum orientieren kann und einem Team seinen Purpose verleiht. Ohne Vision gibt es keinen gemeinsamen Kern und damit auch kein verbindendes Gemeinschaftsgefühl.

Kleine Teams fördern kollaboratives Arbeiten

Komplexe Situationen machen es erforderlich, dass neue Erkenntnisse so schnell und so gut wie möglich jedem im Team bekannt sind. In agil arbeitenden Teams ist Kommunikation deshalb so etwas wie eine Hauptschlagader. Je mehr Mitglieder ein Team hat, desto schneller vervielfacht sich jedoch die Anzahl der Kommunikationskanäle. Kollaboration entsteht deshalb einfacher in möglichst kleinen Teams.

Wenn Du vor der Wahl stehst, Dich zwischen einem großen oder zwei kleinen Teams zu entscheiden, solltest Du immer die zweite Variante bevorzugen.

Die optimale Teamgröße

Gleichzeitig bedeuten mehrere Teams, die gemeinsam an einem Produkt arbeiten, jedoch auch, dass Du Mittel und Wege finden musst, die Arbeit der einzelnen Teams miteinander zu synchronisieren. Mit diesem Thema beschäftigt sich beispielsweise die agile Skalierung und bietet dazu Lösungen wie etwa das Nexus Framework oder Large-Scale Scrum an.

Langlebige Teams sind effizienter

Kollaboration funktioniert vor immer dann besonders gut, wenn sich die einzelnen Mitglieder eines Teams blind verstehen und sie fest in der Teamkultur verankert ist. Deshalb ist es von Vorteil, ein einmal zusammengestelltes Teams möglichst lange bestehen zu lassen. Häufige Wechsel in der Besetzung erzeugen automatisch Reibungsverluste, weil dann jedes Mal Regeln und Abläufe neu ausgehandelt werden müssen.

  • Ausführlich habe ich dieses Thema in meinem Artikel über die Teamphasen nach Tuckman näher beleuchtet.

Interdisziplinäre Teams

Wie eingangs bereits erwähnt, ist die Arbeitswelt zu komplex, als dass ein Mensch alleine Lösungen entwickeln könnte. Komplexe Probleme lassen sich daher am besten durch interdisziplinäre Teams lösen. Nur sie sind in der Lage, alle notwendigen Skills und Perspektiven einfließen zu lassen, die zur Lösungsfindung notwendig sind. All das gelingt jedoch nur dann, wenn sie kollaborativ an einer Lösung arbeiten.

Superhelden formen interdisziplinäre Teams

Teamrollen nach Belbin

Teams sollten allerdings nicht ausschließlich nach technischen oder fachlichen Fähigkeiten zusammengestellt werden, um kollaboratives Arbeiten zu fördern. Schon in den 70er Jahren fand Meredith Belbin heraus, dass in besonders erfolgreichen Teams bestimmte Teamrollen vertreten sind. (Diese Teamrollen sind jedoch keine Persönlichkeitsmerkmale, sondern lediglich Rollen, die Menschen in Teams gerne ausüben, da sie ihren persönlichen Vorlieben am ehesten entsprechen.)

Belbin identifizierte neun verschiedene Teamrollen, die nach Möglichkeit in jedem Team vertreten sollten, um sie besonders erfolgreich zu machen. Die Rollen sind Neuerer, Wegbereiter, Macher, Umsetzer, Perfektionist, Beobachter, Koordinator, Teamarbeiter und Spezialist.

Jede dieser neun Rollen besitzt besondere Stärken, aber auch erlaubte (!) Schwächen. Kollaboration ist nach dieser Sichtweise immer dann besonders erfolgreich, wenn für jede erlaubte Schwäche einer Teamrolle ein andere Teamrolle existiert, die diese Schwäche durch eigene Stärken wieder ausgleichen kann.

Fazit zu kollaborativem Arbeiten

Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Artikel zeigen, dass Kollaboration kein Klimbim oder nettes Beiwerk der agile Arbeit ist, sondern dass Komplexität und Ungewissheit diese Arbeitsform schlichtweg notwendig machen. Darüber hinaus kann kollaboratives Arbeiten durch die entstehenden Synergieeffekte ein echter Booster sein und High-Performance-Teams entstehen lassen.

Falls Du noch Fragen, Ideen, Anregungen oder Kritik zu diesem Artikel hast, freue mich mich wie immer über einen Kommentar von Dir hier unten auf der Seite!