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Nicht selten höre ich die Behauptung, dass agile Teams überhaupt nicht mehr geführt werden müssten, weil sie ja selbstorganisiert arbeiten. In diesem Artikel möchte ich deshalb ausführlicher darauf eingehen, warum das Führen mit Zielen ein zentraler Bestandteil agiler Führung ist. Tatsächlich würde ich sogar behaupten, dass die Selbstorganisation agiler Teams ohne Ziele vollkommen unmöglich ist.

Außerdem werfe ich mit Dir gemeinsam einen kurzen Blick auf die Geschichte dieser Art zu führen, um Dir zu verdeutlichen, wie sich für Dich als Führungskraft die Umstände und Voraussetzungen geändert haben und welche Konsequenzen daraus für das Führen mit Zielen abzuleiten sind.

Die Ursprünge des Führens mit Zielen

Bevor wir daran gehen, uns inhaltlich genauer mit dem Thema Führen mit Zielen auseinanderzusetzen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Historie dieser Führungsmethode. Tatsächlich entstand die Idee des Führens mit Zielen bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts und ist ein bis heute brandheißes Thema.

Management by Objectives and Self-Control

Seinen Ursprung hat das Führen mit Zielen im Jahr 1954 in Peter Druckers wegweisendem Werk The Practice of Management, in dem er das berühmt-berüchtigte Management by Objectives (kurz MbO) entwickelte. Schon vor gut 70 Jahren erkannte Drucker, dass Organisationen immer mehr die Orientierung und Ausrichtung verloren ging. Mit MbO lieferte er ein Instrument, das es Führungskräften ermöglichen sollte, diese durch aufeinander abgestimmte Zielsetzungen wiederherzustellen.

In den folgenden Jahrzehnten etablierte sich MbO dann bekanntermaßen zum Management-Standard.

Allerdings führte diese weite Verbreitung auch dazu, dass wichtige Aspekte dieser Methode verloren gingen (oder einfach ignoriert wurden).

Schon alleine die Tatsache, dass Druckers Management-Methode eigentlich Management by Objectives and Self-Control heißt und Letzteres schlichtweg einfach irgendwann weggelassen wurde und heute vollkommen in Vergessenheit geraten ist, spricht dabei Bände.

Führen mit Zielen durch Management by Objectives and Self-Control

Druckers Ansatz war niemals dazu gedacht, Mitarbeitern Ziele einfach vorzugeben:

Management by objectives and self control assumes that people want to be responsible, want to contribute, want to achieve.

Objectives & Key Results

Wie Du siehst, war Beteiligung bzw. Mitbestimmung schon in MbO angelegt und ist keine Neuerfindung von OKR. Schon damals ging es Drucker beim Führen mit Zielen um gemeinsame Zielvereinbarungen statt einer top-down Zielsetzung durch die Führungskraft.

Nichtsdestotrotz haben sich OKR mittlerweile fest als Zielsetzungs-Methode etabliert und MbO als Standard abgelöst.

Gleichzeitig können wir jedoch auch festhalten, dass OKR sich (historisch betrachtet) aus MbO entwickelt haben und die tatsächlichen Unterschiede zwischen beiden Methoden gar nicht so groß sind, wie wir vielleicht gemeinhin denken.
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Viele von Druckers Grundgedanken, die wir meist exklusiv OKR zuschreiben, sind also bereits in MbO wiederzufinden. (Beispielsweise der oben genannte Punkt, dass Ziele gemeinsam vereinbart werden sollen, statt sie einfach nur vorzugeben.)

Hierzu findest Du im Übrigen auf Inspect & Adapt einen sehr lesenswerten Artikel von Kai-Marian Pukall. Auch wenn ich nicht alle dort zu findenden Ansichten unterschreiben würde, bringt Pukall den “Unterschied” zwischen MbO und OKR dort sehr gut auf den Punkt:

Die wahrgenommene Differenz kommt offenbar daher, dass bei der Vorstellung einer neuen Methode gerne die Absichten der neuen mit den real existierenden Umsetzungen der alten Methode verglichen werden.

Selbstorganisierte Teams mit Zielen führen

Wie Du siehst, beschäftigen sich Organisationen schon seit gut 70 Jahren damit, wie es ihnen gelingen kann, Menschen, Teams und Organisationen mit Hilfe von klaren Zielen zu führen. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass dieses Thema immer dringender und wichtiger für Organisationen wird.

Denn es gibt gute Gründe, warum in den letzten Jahren um OKR ein derart großer Hype entstanden ist. Und der liegt nicht nur alleine darin, dass Google damit so erfolgreich war bzw. ist. Der Hauptgrund liegt darin, dass Organisationen Wege finden müssen, mit den Auswirkungen der VUCA-Welt umgehen zu können.

Auswirkungen der VUCA-Welt

Die VUCA-Welt bringt es mit sich, dass Organisationen mit Komplexität und Ungewissheit konfrontiert sind. Beides führt dazu, dass ein Mensch alleine nicht mehr die besten Lösungen für Probleme und Herausforderungen finden kann.

Die Antwort agiler Methoden und Frameworks ist deshalb die kollaborative Zusammenarbeit in kleinen, interdisziplinären Teams. Gleichzeitig ist die Selbstorganisation agiler Teams ein essenzieller Faktor für ihren Erfolg.

Denn besonders Ungewissheit führt dazu, dass lineare Pläne und stabile Prozesse nahezu unmöglich werden.

Teams müssen deshalb kontinuierlich ihr Vorgehen anpassen und verändern, um erfolgreich zu sein. Ohne ausreichende Autonomie ist das jedoch schlichtweg nicht möglich.

VUCA-Welt

Für das Führen mit Zielen bringt all das vor allem zwei wichtige Erkenntnisse mit sich:

  • Erstens geht es nicht mehr (wie noch bei MbO) darum, einzelne Menschen oder Mitarbeiter mit Hilfe von Zielen zu führen, sondern ganze Teams.

  • Zweitens muss Führen mit Zielen so gestaltet sein, dass agile Teams sich selbst führen, steuern bzw. managen können.

Shared Leadership

Shared Leadership bzw. geteilte Führung ist eine Führungsmethode, die eng im Zusammenhang mit der Selbstorganisation agiler Teams steht. Im Kern bedeutet es, dass die formale Führungskraft Entscheidungsmacht an das (gesamte) Team abgibt, damit dieses in der Lage ist, sich selbst zu führen. Gleichzeitig wird Führung im Team auf mehrere bzw. alle Teammitglieder verteilt, sodass immer diejenige Person die Führung übernimmt, die aktuell am besten dazu geeignet ist.

Geteilte Führung innerhalb agiler Teams kann jedoch nur dann funktionieren, wenn diesen klar ist, welche Ziele sie erreichen sollen. Führen mit Zielen spielt für selbstorganisierte Teams deshalb eine tragende Rolle, weil Selbstorganisation und geteilte Führung im Team ohne klare Ziele schlichtweg unmöglich ist.

Alignment-Autonomy-Matrix

An dieser Stelle ist die von Henrik Kniberg entwickelte Alignment-Autonomy-Matrix hilfreich, um das Zusammenspiel von “Führen mit Zielen” auf der einen und “Selbstorganisation & geteilte Führung im Team” besser zu verstehen. Denn Ausrichtung (Alignment) und Selbstorganisation (Autonomy) stellen nicht Pole auf einer Skala dar, sondern sind tatsächlich unterschiedliche Dimensionen.

Das bedeutet, dass ein starkes Alignment (durch Führen mit Zielen) unter bestimmten Voraussetzungen mit einem hohen Maß an Autonomie und Selbstorganisation in agilen Teams einhergehen kann.

Die Alignment-Autonomy-Matrix verdeutlich das, indem sie beide Aspekte als unterschiedliche Dimensionen darstellt, wodurch eine 2×2-Matrix entsteht, die vier verschiedene Kombinations­möglichkeiten erzeugt. Unter den richtigen Bedingungen ist deshalb sowohl eine starke Ausrichtung als auch eine hohe Autonomie möglich.

Damit Alignment und Autonomie beide stark ausgeprägt sein können, ist es wichtig, dass mit Hilfe outcome-orientierter Ziele geführt wird.

Führen mit outcome-orientierten Zielen

Für Dich als Führungskraft bedeutet das, dass Du Dich gemeinsam mit Deinen Teams darauf konzentrieren musst, Ziele so zu vereinbaren, dass diese sich auf das Ergebnis (den Outcome) fokussieren.

Denn wenn Ziele lediglich wiedergeben, was der direkte Output eines Teams sein soll, führt das dazu, dass die Autonomie der Teams eingeschränkt wird. Sie haben dann keinerlei Möglichkeit mehr, innovative Lösungen zu entwickeln, weil bereits exakt vorgegeben ist, was herauskommen soll.

Während Output das konkrete Ergebnis aus vorangegangenen Aktivitäten ist, ist Outcome die erhoffte Wirkung (bei Kunden, Nutzern oder Stakeholdern), die erst durch den Output entstehen soll. (Ob das jedoch tatsächlich so ist, ist unter komplexen Bedingungen niemals genau im Voraus abzusehen.)

  • Ausführlich gehe ich auf den Unterschied zwischen beidem auch in meinem Artikel Output vs. Outcome ein.

Mit Zielen führen, die wirklich inspirieren

Agile Teams mit Hilfe von Zielen zu führen, bedeutet deshalb viel mehr als ihnen lediglich konkret vorzugeben, was das direkte Ergebnis ihrer Arbeit sein soll. Deshalb bin ich auch überzeugt, dass die weit verbreitete SMART-Formel keine große Hilfestellung ist, um wirklich inspirierende und motivierende Ziele zu formulieren.

Fazit

Wie Du siehst, hat das Thema Führen mit Zielen durch die Einflüsse der VUCA-Welt in den letzten Jahren einen starken Wandel erfahren.

Während es Führungskräften noch vor einigen Jahren (unter weniger komplexen und ungewissen Umständen) möglich war, mit einem einzelnen Mitarbeiter einen konkreten Output als Ziel zu vereinbaren, ist diese Vorgehensweise heute nicht mehr sinnvoll. Agile Führung bedeutet deshalb Ziele mit ganzen Teams zu vereinbaren, die sich auf den gewünschten Outcome fokussieren.