Agiles Planen funktioniert anders als wir es gewohnt sind. Agiles Planen erfolgt nicht so früh wie möglich, sondern am besten so spät wie möglich. Das erscheint auf den ersten Blick widersinnig und dumm. Warum sollte man nicht versuchen, mögliche Risiken und Gefahren möglichst früh zu erkennen und diesen mit einer soliden Planung begegnen? Das erhöht doch die Erfolgschancen für ein Projekt deutlich. Oder?
Wenn wir uns in einer Umgebung befinden, deren Bedingungen und Voraussetzungen zwar sehr umfangreich, aber im Großen und Ganzen stabil sind, können wir durch eine präzise Analyse viel erreichen. Je mehr Details wir vorab kennen, desto besser können wir unser Vorgehen darauf abstimmen und so vermeiden, böse Überraschungen zu erleben. Solche Umgebungen werden als komplizierte Umgebungen bezeichnet. Um alle Fallstricke, Risiken und Probleme zu erkennen, benötigen wir bei unserer Planung vielleicht einen (oder viele) Experten, aber im Grunde können wir uns sicher sein, dass wir durch frühe, exakte Planung unsere Chancen auf Erfolg erhöhen werden.
Diese Annahme gilt jedoch nur für komplizierte Umgebungen und nicht für komplexe Umgebungen. Komplexe Umgebungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Bedingungen und Voraussetzungen durch viel mehr Variabilität gekennzeichnet sind, als komplizierte. Folglich können wir zu Beginn eines Projektes nur schwer einschätzen, wie lange es tatsächlich dauern wird, da wir erst am Ende – oder zumindest sehr spät – genug darüber wissen werden.
Cone of Uncertainty
Der sogenannte Cone of Uncertainty verdeutlicht diese Erkenntnis sehr anschaulich. Er geht auf eine Untersuchung der NASA zurück, die herausfand, dass die Projektdauer zu Beginn des Projektes nur sehr schwer geschätzt werden kann.
Die meisten Schätzungen liegen oft um ein Vierfaches höher oder sind um ein Viertel kleiner als die tatsächliche Projektdauer.
Die Dauer eines Projektes, von dem sich am Ende rausstellt, dass wir dazu einen Monat Zeit benötigen, wird also anfangs auf 4 Monate oder auf nur eine gute Woche geschätzt. Je größer der Anteil an Forschung und Entwicklung in einem Projekt ist, desto größer fallen diese Schwankungen aus.
Frühe Planung erzeugt Verschwendung
In einer sich stetig verändernden Umgebung erzeugt frühe Planung einen gravierenden Nachteil. Es kann uns gut passieren, dass Dinge, die wir vor Monaten geplant haben, sich längst wieder verändert haben, wenn wir bereit sind, mit ihnen zu beginnen. Annahmen, Überlegungen und Berechnungen sind überholt und müssen auf der Basis der aktuellen Erkenntnis erneut getätigt werden.
Durch frühe Planung erzeugen wir also das, was Kaizen als Verschwendung bezeichnet. Jede Tätigkeit, die wir in komplexen Umgebungen sehr früh geplant haben, muss erneut geplant werden, da sich ihre Bedingungen bereits wieder verändert haben. Dadurch planen wir doppelt und dreifach. (Das ist aber immerhin noch besser, als an einem Plan, der sich später als fehlerhaft heraustellt, festzuhalten und so neue Erkenntnisse zu ignorieren.)
Agiles Planen
Agiles Planen vermeidet genau dieses Problem, indem wir so spät wie möglich planen. Das hilft, die oben genannte Verschwendung zu reduzieren und stellt sicher, dass bei der Erstellung eines Plans so viele gesicherte Informationen wie möglich vorhanden sind. Scrum beispielsweise hält uns dazu an, lediglich den nächsten Sprint exakt zu planen, da wir dadurch einen kurzen, überschaubaren Zeitraum vor uns haben. Jede während eines Sprints neu gewonnene Erkenntnis kann so in die Planung des nächsten Sprints einfließen.